Gemälde des 19. Jahrhunderts

Gemälde des 19. Jahrhunderts Da ist ein Augenblick, der alles erfüllt

Inhalt Heinrich Gärtner S. 6–11 Carl Robert Kummer S. 12–19 Peter Conrad Schreiber S. 20 Johann Nepomuk Rauch S. 24 Küste bei Capri S. 28 Andreas Achenbach S. 32 Heinrich Friedrich Tank S. 36 Meeresbrandung bei Sestri Levante S. 40 Carl Maria Nicolaus Hummel S. 44 Frederik Petzholdt S. 48 Viktor Paul Mohn S. 52 Albert Venus S. 56 Ludwig Friedrich S. 60 Johann Casper Huber S. 64 Albert Ernst Mühlig S. 68 Carl Adolf Mende S. 72 Johann Gottfried Pulian S. 76 Christian Friedrich Gille S. 80–83 August Löffler S. 86–89 Augusto Ferri S. 90 Georg Emil Libert S. 92 Anton Eduard Kieldrup S. 94–97 Remigius Adrianus van Haanen S. 98 Georg Heinrich Crola S. 102 Johann Nepomuk Rauch S. 108 Carl Morgenstern S. 110 Friedrich Voltz S. 114 Adolph Thomas S. 116 Adolf Heinrich Lier S. 120

# 6 | 7 Öl auf Leinwand 26 × 40 cm Unten rechts monogrammiert und datiert: „H.G. fec 67“. Das Urteil des Paris, 1867 Heinrich Gärtner (1828 Ballin/Neustrelitz – Dresden 1909) Ein Jahr nach seiner Rückkehr aus Rom, 1867, malte der in Berlin bei August WilhelmSchirmer und inDresden bei LudwigRichter ausgebildete Heinrich Gärtner zwei kleine Gemälde mit homerischen Stoffen – das Parisurteil hat jene Szene aus der Ilias zur Grundlage (Ilias 24, 28-30), in der der Jüngling Paris, der verstoßene Sohn des Trojanerkönigs Priamos, entscheiden soll, wer die schönste der drei Göttinnen ist: Aphrodite, Athene oder Hera. Sie waren zur Hochzeit von Peleus und Thetis auf demOlymp zusammengekommen, auf der sie sich um den goldenen Apfel zankten, den die nicht eingeladene, deswegen beleidigte Göttin der Zwietracht Eris mit der Aufschrift „Für die Schönste“ unter die feiernden Götter geworfen hatte. Aphrodite gewann den Wettstreit, indem sie Paris die Liebe der schönsten Frau der Welt anbot – die schönste Sterbliche war damals Helena, die jedoch mit dem Spartakönig Menelaos verheiratet war. Ihr Raub, der zur Einlösung des Versprechens nötig war, löste denTrojanischen Krieg aus. Auf dem anderenGemälde schildert Gärtner eine Episode ausHomers Odyssee (Odyssee 6, 7), in der die phaiakische Königstochter Nausikaa einen schlafenden Schiffbrüchigen entdeckt. Sie geleitet ihn zum Hof ihres Vaters Alkinoos, der ein Gastmahl gibt, auf dem der Fremde sich als Odysseus zu erkennen gibt und von seinen Irrfahrten berichtet. Die Liebe, die in Nausikaa aufkeimt, erwidert Odysseus jedoch nicht, und lässt sich stattdessen von den Phaiaken in seine Heimat Ithaka bringen. Beide Szenen versetzt Gärtner in südlich anmutende Landschaften, die italienische Gegenden spiegeln, die er ähnlich während seines zehnjährigen Aufenthalts in Rom gesehen hatte: Das Parisurteil ruft bergige Küstenlandschaften Süditaliens in Erinnerung; für die Begegnung Nausikaas mit Odysseus dürfte dagegen die Golfregion um Neapel anregend gewesen sein. Auch wenn beide Gemälde historische Stoffe wiedergeben, gehören sie unbedingt demBereich der Landschaftsmalerei an, denn sie folgen den Konventionen der sogenannten „Historischen Landschaft“, die sich auf dieTradition Poussins und Lorrains 1 Heinrich Gärtner: Das Urteil des Paris, Bleistift auf Papier, 14,8 ✗ 22,4 cm.©Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Andreas Diesend.

8 | 9 1 | Besprechung im Dresdner Journal, Nr. 77, 4. April 1857. 2 | Julius Gensel: Friedrich Preller d. Ä., mit 134 Abbildungen und einem Titelbilde, Bielefeld 1904, S. 90. 3 | Vgl. hierzu ausführlich Christian Scholl: Historisierter Klassizismus. Die Odysee-Landschaften Friedrich Prellers d. Ä. und ihre zeitgenössische Rezeption, in: Imagination und Evidenz. Transformationen der Antike im ästhetischen Historismus, hg. von Ernst Osterkamp /Thorsten Valk, Berlin 2011, S. 112–117. 4 | Wilhelm Lübke: Landschaftliche Compositionen von Fr. Preller, ausgestellt in Berlin, In: Deutsches Kunstblatt 8, 1857, Heft 8, S. 172. bezieht. Dieses Erbe hatte um 1800 in Rom Joseph Anton Koch erneuert und im Sinne des Klassizismus interpretiert; seine Gemälde hatte Gärtner in Rom kennengelernt und in der Folge dort den Wandel von einer poetisch-idyllischen zu einer heroisch-historischen Malerei vollzogen. Auf dem Parisurteil, zu dessen Figurengruppe sich eine Vorzeichnung in Dresden befindet (Abb. S. 6), ist die panoramaartig ausgebreitete Landschaft in ein Grün getaucht, das sich von Tiefgrün imVordergrund bis zu einem sanften Grün im Hintergrund wandelt, wo es vom Licht der untergehenden Sonne aufgesogen wird. Die dargebotene Landschaft ist ausgesprochen abwechslungsreich – eine Schlucht, aus der das Blau eines Wasserfalls hervorleuchtet, führt zur Küste, wo sich in der Ferne ein Bergmassiv auftürmt; rechts leuchtet ein See in tiefem Blau heraus, das sich dahinter über eine Ebene erstreckt. Es ist eine imaginäre Landschaft, deren ausgewogener Farbklang in der Kombination pastoser Licht- und Farbwerte jene atmosphärische Stimmung hervorruft, die voller Erhabenheit und poetischer Anmut ist. Gärtner strebt eine dichterische Gesamtwirkung der Landschaft an, in der topografische Authentizität kaum eine Rolle spielt – die Idealität der Landschaft, in der sich Natur und Menschheitsgeschichte zusammenschließen, war Gärtners Anliegen. Auf seine Landschaften trifft ähnlich zu, was ein Rezensent anlässlich einer Ausstellung von Friedrich Preller im Frühjahr 1857 in Dresden bemerkte, der dort kartongroße Kopien nach seinen Odyssee-Gemälden aus dem Römischen Haus des Leipziger Verlegers Hermann Härtel ausgestellt hatte: In ihnen sei „alles aus der lebendigsten Naturwirklichkeit herausgeschaut und durchgebildet; und doch ist das Ganze von so wahrhaft klassischer Idealität, daß die große Formenwelt des südlichen Naturlebens wie die einfache Hoheit der alten Sagengestalten zu eben so anschaulicher wie großartig dichterischer Darstellung gekommen sind.“ 1 Friedrich Preller hatte das Erbe Kochs inDeutschland weitergeführt und noch zu dessenLebzeitenMitte der 1830er Jahre inHärtelsHaus einenZyklus mit Szenen aus Homers Odyssee gemalt und eine erneute Beschäftigung mit dem antiken Stoff ergab sich für ihn imHerbst 1855, als er zusammen mit seinemSohn Kopien nach diesen Gemälden anfertigte, die er im Frühjahr 1857 in Dresden ausstellte. 2 Prellers homerische Landschaften wurden nicht als Nachzügler eines längst überholten Klassizismus verstanden, sondern als Zeugnis einer Erneuerung der Landschaftsmalerei wahrgenommen, in der sich die Fortsetzung und Vervollkommnung der um 1800 von Koch und Johann Christian Reinhart entwickelten Ansätze manifestieren 3 – das idealistische Landschaftskonzept hatte sich gegen den aufkommenden Realismus und Naturalismus zu behaupten und fand in den Werken Prellers und Gärtners sinngemäßen Ausdruck. Deshalb ließe sich auf Gärtner auch übertragen, was Wilhelm Lübke an Prellers Kartons ausdrücklich lobte – dass dort nämlich „die Gestalten der handelnden Personen als bedeutende Staffage mit der Landschaft verwebt [sind], und auch hier mit so tief innerlicher Uebereinstimmung des Landschaftlichen und Figürlichen, daß das Eine von demAnderen unzertrennlich erscheint.“ 4 Es ist dieses

Öl auf Leinwand. 26 × 36 cm.Unten links monogrammiert und datiert: „H.G. 67“. # Odysseus und Nausikaa, 1867 Heinrich Gärtner (1828 Ballin/Neustrelitz – Dresden 1909) 2

10 | 11 idealistische Landschaftskonzept, in dem sich Natur und Geschichte miteinander verbinden, das Preller zu einem der erfolgreichstenLandschaftsmaler in der zweiten Jahrhunderthälfte machte.Dieser hatte 1859/60 zusammen mit seiner Familie extra noch einmal Italien und die Küsten Capris und Süditaliens besucht, um die dortigen homerischen Landschaften auf sichwirken zu lassen und seiner Beschäftigung mit der Odyssee neuerliche Authentizität zu verleihen – nach seiner Rückkehr nachWeimar schuf Preller bis 1863 sechzehn großformatige, heute verlorene Kartons zu Odysseelandschaften, die er in den folgenden Jahren alsWachsgemälde für das neuerrichtete Großherzogliche Museum inWeimar zu einer Zeit ausführte 5, als auch Gärtner an seinen homerischen Landschaften arbeitete. ObGärtner bereits damals um1860Preller inRomkennengelernt hat, ist möglich, lässt sich bisher aber nicht belegen, doch dürfte Gärtners Anschluss an das idealistische Landschaftskonzept in der Nachfolge Kochs auch wesentlich durch den Leipziger Verleger Alphons Dürr angeregt worden sein, den Gärtner 1863 in Rom kennengelernt hatte und dem er nach seiner Rückkehr nach Deutschland zahlreiche Aufträge verdankte.Dürr war auch mit Preller gut bekannt – Dürr veröffentlichte u. a. Prellers Odysseelandschaften in einer aufwendig gestalteten Publikation mit Erläuterungen des damaligen Direktors der Berliner Nationalgalerie Max Jordan 6 -, und Briefe Prellers an Dürr aus den Jahren 1865 und 1866 belegen, dass Preller auch mit Gärtner gut bekannt gewesen sein muss und über dessen Arbeiten informiert war. 7 In diesem künstlerischen Milieu der Erneuerung des idealistischen Landschaftskonzepts sind Gärtners homerische Landschaften zu verorten. 5 | Vgl. Friedrich Preller der Jüngere. Tagebücher des Künstlers, hg. von Max Jordan, München 1904, S. 133. 6 | Friedrich Prellers FigurenFries zur Odyssee. Sechzehn Compositionen in vierundzwanzig farbigen Steindruck-Tafeln. Mit erläuterndem Text aus der Odyssee, Vossische Übersetzung – herausgegeben von Max Jordan, Leipzig 1875. 7 | Briefe Prellers an Dürr vom 2. September 1865, vom 22. Januar und 7.Mai 1866, Leipzig, Deutsches Buch- und Schriftmuseum, Nachlass Alphons Dürr, Bö-Archiv / 141 / 127, 132 und 134. Siehe Reinhard Wegner: Briefedition Friedrich Preller d. Ä. Ich habe die Feder in Bewegung gesetzt, München 2023, Brief 553, S. 543, Brief 560, S. 517 und Brief 565, S. 520. Ich danke Reinhard Wegner, Heidelberg, für den Hinweis auf Prellers Briefe und Uwe Steinbrück, Jena, für weitere Informationen.

# 12 | 13 1 | Eine Ausnahme bildete Franz Petters mit fünf Chromolithographien von Jakob und Rudolf Alt versehene Abhandlung über das Königreich Dalmatien, vgl. Franz Petter: Das Königreich Dalmatien, Wien 1841. 2 | Album malerischer Ansichten aus Dalmatien und seinen Nachbarlanden, hg. vom Österreichischen Lloyd, Triest 1855. 3 | Die Malerfamilien Robert Kummer und August Grahl in Dresden. Ein Beitrag zur Kultur- und Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts mit 250 Abbildungen, hg. von Matthias Lehmann, Konz 2010, S. 67. 4 | Ebd., S. 67–85. Landschaft in Dalmatien 3 Carl Robert Kummer (1810 Dresden 1889) Der ausDresden stammendeRobert Kummerwurde in eine sich schnell veränderndeWelt hineingeboren – alte Ordnungen und Gewissheiten lösten sich zunehmend auf, die Landkarte Europas wurde neu vermessen, und immer mehr Nachrichten aus fernen Ländern weckten Sehnsüchte, die auf Reisen befriedigt werden wollten. Das 19. Jahrhundert ist der Aufbruch in eine neue Mobilität und auch Kummer bildet hierin keine Ausnahme – für ihn waren Reisen in noch unentdeckteWelten ein Lebenselixier. Kummer war ständig unterwegs – auf der Suche von einer Entdeckung zur nächsten, offenbart sich darin ein ruheloses,vonNeugier getriebenes Temperament, das nur auf Reisen Erfüllung fand. Sein Lebensbericht liest sich wie ein Reisejournal – voll vonNachrichten aus fremdenWelten. Zu diesen fremden, durch keine Reiseliteratur erschlossenen Welten zählte damals noch weitgehend der Balkan 1, weshalb Kummers in den Monaten Juli und August 1847 zusammen mit seinem Schüler Heinrich Eduard Müller unternommene Reise nach Dalmatien und Montenegro einer Pioniertat gleichkam – nur wenige Künstler vor ihm wie Rudolf von Alt oder Eugen Adam hatten sich dorthin gewagt; nach ihm folgten wenig später Maler wie Louis Gurlitt, Karl Eduard Biermann oder Ernst Steinfurth, durch deren pittoreskeAnsichten der Landstrich erstmals größere Bekanntheit erlangte. 2 Kummer hatte die Sehnsucht, das Land genauer kennenzulernen, bereits auf früherenReisen nach Italien gespürt, als er von Ferne „die blauen Streifen der Gebirgszüge aus den blauen Fluten des adriatischen Meeres emporsteigen“ sah. Er erhoffte sich „tausende von Einschnitten des Meeres weit in das Festland hinein, viele Inseln und großartige Gebirgszüge“ 3, die ihm reichen Stoff für Bilder bieten würden. In seinen„Lebenserinnerungen“ hat Kummer diese mühsame Expedition ausführlich und bildhaft beschrieben 4, die ihn und Müller entlang der dalmatinischen Küste bis nach Cattaro, dem heutigen Kotor in Montenegro, und über das Lovćen-Gebirge bis nachCetinje führte, der damaligenHauptstadtMontenegros – und er sollte nicht enttäuscht werden.Das wilde und rauhe Land bot ihm vielfältige Entdeckungen und Eindrücke, die er so noch nie gesehen hatte. Einen der erhofften Einschnitte des Meeres weit ins Land hinein zeigt unser Ölbild, die an die Felsenküste bei Ragusa erinnern mag – eine genaue topografische Bestimmung ist kaum möglich, doch gibt sie einen Eindruck von der Stimmung wieder, die Kummer dort vom Schiff aus beschrieben hat: „[…] die untergehende Sonne beleuchtete die klippenvolle Küste, an der wir nahe dahinfuhren; die phantastisch geformten Felsen in glühend roten Farben spiegelten sich in den blauen dunklen Wellen, auf welchen unser Schiffchen herumtanzte; ichweiß nicht,was ich darum gegeben hätte,wenn ich hier eine Farbenskizze hätte Öl auf Holz 24 × 37,5 cm Unten rechts signiert: „R. Kummer“ Wir danken Dr. Elisabeth Nüdling, Fulda, für die Bestätigung der Autorschaft Carl Robert Kummers bei diesen Ölstudien. r-

14 | 15 5 | Ebd., S. 82. 6 | Etwa Küstenlandschaft in Dalmatien, Öl auf Papier, 9,7 ✗ 19 cm, Berlin, Galerie Gerda Bassenge, Auktion 120, 1. Dezember 2022, Los 6083. 7 | Elisabeth Nüdling: Carl Robert Kummer 1810–1889. Ein Dresdner Landschaftsmaler zwischen Romantik und Realismus, Petersberg 2008, S. 275, Nr. 329–330. malen können.Leider war dies der Bewegung desMeeres halber unmöglich, auch kein Grund zumAnkern zu finden und die schönste Beleuchtung nur wenigeMinuten anhaltend.“ 5 Unser kleines Gemälde dürfte kaum vor Ort entstanden sein, ruft aber einen solchen von Kummer geschilderten stimmungsvollen Moment in Erinnerung – wie sich die schroff abfallenden Felsen im Meer spiegeln, auf dem ein einsames Segelboot zum anderen Ufer unterwegs ist, wie sich die einzelnen Bergketten entlang der Meeresbucht hintereinander staffeln, überwölbt von einem blauen Himmel, durch den einzelne Wolken ziehen. Es ist ein Stimmungsbild nicht ohne die ihm eigene Dramatik, die an die griechischen Landschaften Carl Rottmanns auch deshalb erinnert, weil Kummer nicht nur ein vergleichbares Drama aus erdigen, dunklen Farben aufführt, sondern auch eine ähnlich vegetationslose, bei aller Großartigkeit der Kulisse doch eine karge, unwirtliche Landschaft schildert, die demMenschen kaum zugänglich ist. Nur zwei Personen, die an ihren rotenMützen als Einheimische erkennbar sind, bahnen sich denWeg aus einer dunklen Schlucht nach oben auf die hellere Ebene – in der Inszenierung des dunklen, durch vielfältige Felsformationen abwechslungsreich gestalteten Vordergrunds, der sich von dem blauen Himmel und den helleren Gebirgszügen im Mittelgrund absetzt, ist noch ein traditioneller Bildaufbau spürbar, der eine Entstehung aus der Erinnerung vermuten lässt. Unmittelbarer im Zugriff auf das Objekt im Natureindruck präsentiert sich eine zweite Ölskizze, die möglicherweise ebenfalls eine Bucht an der dalmatinischen Küste zeigt. Ähnlich schroff fallen die Berge zum Meer hin ab, auf dem einzelne Segelschiffe sichtbar sind – rechts vorne hat sich ein kleiner Felsabhang ins Bild geschoben, das aber beherrscht wird vom dem geweiteten Blick auf die kahlen, an- und absteigenden Felsen gegenüber, in deren Mitte sich eine kleine Siedlung geschmiegt hat. Die weiter hinten die Bucht säumenden Berge werden bereits vom blauen Dunst des Himmels eingenommen – dies alles schildert Kummer ernst und ohne Emotion mit einem breiten Pinsel, dessen einzelne Züge erkennbar sind. Die Verwendung von Papier als Malgrund, der skizzenhafte, frische Einsatz des Pinsels, die Art der Präsentation mit dem schwarzenRahmen, die sich auch auf anderen kleinformatigen StudienKummers findet 6, lassen vermuten, dass es sich hierbei um eine vor Ort entstandene Studie handelt. Kummers Reise nach Dalmatien, die er zwischen Bangen und Hoffen angetreten hatte, ob die dortige Landschaft seine Erwartungen erfüllen könne, stellte sich als Erfolg heraus. Er kam nicht nur mit einem reichhaltigen Studienmaterial zurück nach Dresden, auch kommerziell sollte sich die Reise auszahlen, als der sächsische König Friedrich August II. mit der Bucht von Kotor und dem Blick auf den See von Skutari 1848 zwei Gemälde angekauft hatte 7, die 1858 auf der historischen allgemeinen deutschen Kunstausstellung in München Kummer einem größeren, überregionalen Publikum bekannt machten.

Öl auf Papier, aufgezogen auf Pappe. 25,6 × 33,5 cm # Küste in Dalmatien Carl Robert Kummer (1810 Dresden 1889) 4

16 | 17 Öl auf Papier, aufgezogen auf Pappe. 15,5 × 30,8 cm # Gebirgslandschaft mit See im Abendlicht Carl Robert Kummer (1810 Dresden 1889) 5

Öl auf Papier, aufgezogen auf Pappe. 15,7 × 30,8 cm # Der Watzmann Carl Robert Kummer (1810 Dresden 1889) 6

18 | 19 Öl auf Papier, aufgezogen auf Pappe. 19,5 × 30,1 cm # Bergkegel mit waldiger Landschaft im Abendlicht Carl Robert Kummer (1810 Dresden 1889) 7

# 20 | 21 George AugustusWallis:Waldweg imChigi-Park in Ariccia, 1796, Bleistift, 55,5 ✗ 77,5 cm. Privatbesitz. 8 1 | Vgl. Wolfgang Vorwerk: Peter Conrad Schreiber (1816–1894), ein Fürther Landschaftsmaler des 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zu seinem 200. Geburtstag, Teil 2, in: Fürther Geschichtsblätter 66, 2016, Heft 1, S. 24–26, Dok. 4. 2 | Johann Wolfgang von Goethe: Italienische Reise, Leipzig 1914, S. 189, 22. Februar 1787. 3 | Lebenserinnerungen eines deutschen Malers. Selbstbiographie nebst Tagebuchniederschriften und Briefen von Ludwig Richter. Herausgegeben und ergänzt von Heinrich Richter, Leipzig 1909, S. 173. 4 | Vgl. Wolfgang Vorwerk: Peter Conrad Schreiber (1816–1894), ein Fürther Landschaftsmaler des 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zu seinem 200. Geburtstag, Teil 1, in: Fürther Geschichtsblätter 65, 2015, Heft 4, S. 114. 5 | Ebd., S. 119, Dok. 2. Öl auf Leinwand, doubliert auf Leinwand 37,5 ✗ 55,5 cm Unten rechts bezeichnet: „Partie bey Ariccia Albanergebirg“ Gegend bei Ariccia im Albanergebirge, vor 1845 Peter Conrad Schreiber (1816 Fürth – Nürnberg 1894) Als der am ehrwürdigen Egidien-Gymnasium in Nürnberg als Zeichenlehrer angestellte Peter Conrad Schreiber im April 1845 beimMagistrat der Stadt ein „Ansässigmachungs- undVerehelichungsgesuch“ stellte, wurde dieses „wegen nicht zureichenden Erwerbs“ abgelehnt, woraufhin Schreiber eine Liste mit neun 1844/45 für insgesamt 829 Gulden verkauften Gemälden vorlegte, um seine materielle Unabhängigkeit zu erweisen – unter den Gemälden befand sich als Nummer 6 eine „Parthie bei Ariccia“, die ein Herr von Sauer inMünchen für 80 Gulden erworben hatte. 1 Es ist sehr wahrscheinlich, dass es mit unserem Gemälde identisch ist,weil sich auf der amKeilrahmen umgeschlagenen Leinwand dieselbe Bezeichnung befindet – allerdings hätte es diesesHinweises auf dieÖrtlichkeit kaum bedurft, denn zu gegenwärtigwar das südwestlich vonRom in denAlbanerbergen gelegene Städtchen mit seinemwunderlichen Park des Fürsten Chigi in den Bildkünsten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vertreten (Abb. unten). Bereits für Goethe war der Park der Villa Chigi in Ariccia vor denToren Roms ein Refugium „wahrer Wildnis: Bäume und Gesträuche, Kräuter und Ranken wachsen wie sie wollen, verdorren, stürzen um, verfaulen“ 2 und Ludwig Richter glich er einem „Märchen- und Zauberwalde, wie ihn die lebhafteste Phantasie nicht besser vormalen kann.“ 3 Der Legende nach entstand der Park auf dem Rest eines antiken Dianahains,weshalb die Besitzer dieses StückNatur unberührt ließen.Von dieser Wildnis ließen sich viele romantisch gesinnte Künstler anziehen – am bekanntesten sind die lichterfülltenVariationen über den steinernen Eingang zum Park der VillaChigi vonErnstFries und anderenMalernwieFriedrichNerly oderAbraham Teerlink bis hin zu Camille Corot und JohannWilhelmSchirmer.Auch Schreiber, der in Berlin seit 1835 Schüler Karl Blechens und August Wilhelm Schirmers gewesen war, konnte sich dem pittoresken Reiz dieser Gegend nicht entziehen; er war 1839 nach Rom gekommen 4 und hielt sich dort nach eigenem Bekunden zweieinhalb Jahre auf, „woselbst ich mich blos meinem Studium widmete“. 5 In Rom und auf Ausflügen in die nähere Umgebung hat er offensichtlich nur Studien in

22 | 23 6 | Friedrich Mayer: Wanderungen durch das Pegnitzthal, Nürnberg 1844, S. 90. Öl und in der von ihm geliebten Technik der Gouache angefertigt; deshalb ist es fraglich, ob unser Gemälde vor Ort entstanden ist – eher dürfte es auf in der Gegend von Ariccia gemachte Ölstudien oder Zeichnungen zurückgehen. Schreiber präsentiert mehr ein stimmungsvolles, komponiertes Arrangement voller poetischer Reminiszenzen als eine reine Naturstudie – auf beiden Seiten eingefasst von üppiger Vegetation führt rechts ein Treppenaufgang hinauf zum steinernen Eingangstor des Chigi-Parkes, oberhalb der felsigen Böschung ist noch ein mittelalterlicherWehrturm sichtbar,während links das bewaldeteGelände steil nach unten abfällt und den Blick über den Lago di Nemi auf die Ebene der römischen Campagna freigibt. Beherrscht wird das Gemälde aber von zwei Bäumen in derMitte – einer abgestorben, der andere knorrig und üppig belaubt, dient er als Schattenspender für einen unter ihm sitzenden Dominikanermönch in weißem Ordenshabit. Er ruht sich aus, doch mag seine sinnende Pose in Verbindung mit den beiden Bäumen demGemälde jene romantische Symbolik imSinne einer Kontemplation über Werden und Vergehen in Erinnerung rufen, die zum festen Repertoire der Romantik gehörte – in Rom machten beispielsweise Künstler wie Franz Ludwig Catel oder François-Marius Granet mit der Darstellung des melancholischen, sinnendenMönchs Furore. Doch wird deren symbolischer Gehalt bei Schreiber zugunsten der genauen Beobachtung des Gegenständlichen und Atmosphärischen in einerWeise zurückgenommen, die bereits Zeitgenossen, die nach Schreibers Rückkehr aus ItalienGemälde von ihm sahen, bemerkten und an ihnen besonders eine „tiefe Conception und treffliche technische Fertigkeit, verbunden mit richtigem Farbsinn“ 6, ausmachten.

# 24 | 25 9 1 | Fuori la grotta di posilippo, 1841, Frankfurt am Main, Städel Museum, Graphische Sammlung, Inv. Nr. 6312z, und La marina grande del Vico verso Ischia, 1841, Inv. Nr. 6317. Öl auf Papier 29,4 ✗ 43 cm Provenienz: Adolf Stoll (18501928), Kassel Italienische Küstenstadt, nach 1841 Johann Nepomuk Rauch (1804 Wien – Rom 1847) Im Jahr 1875 hatte das damalige Städelsche Kunstinstitut, das heutige Städel Museum in Frankfurt, eine bemerkenswerte Schenkung erhalten: Johann Nepomuk Rauch, Musiker und Konzertmeister in Frankfurt, hatte aus dem Nachlass seines gleichnamigen Vaters sechzig Aquarelle und Ölstudien gestiftet, die vornehmlich aus dessen italienischer Zeit stammen. Der in Wien gebürtige Rauch war damals als Maler von Landschaften undViehstücken bekannt, weshalb ein Großteil der Schenkung auch Ölstudien von Kühen und Schafen ausmachen, doch den eigentlichen Schatz dieser Sammlung bilden ganz eigen aufgefasste Landschaftsaquarelle aus Italien, wo sich Rauch seit 1841 aufhielt. Nach einer bewegten Zeit, die ihn nach seinem Studium inWien zunächst nach Florenz und in die Schweiz, danach für zehn Jahre nachMoskau geführt hatte, ließ er sich 1841 in den wärmeren Gefilden Roms nieder, um jedoch sogleich nach Neapel aufzubrechen – 1841 entstandene Aquarelle belegen seinen Aufenthalt bereits in diesem Jahr in der Umgebung der campanischenMetropole. 1 Auch unsere Ölstudie zeigt die Ansicht einer süditalienischen Stadt, doch ist ihre Identifizierung bisher auch deswegen nicht gelungen, weil es sich offensichtlich um keine reine Stadtansicht im traditionellen Sinne handelt. Das umgebende Gebirge erinnert zwar an die Berge um Salerno, doch kennt man aus anderen Darstellungen der Stadt – z. B. von Jakob Philipp Hackert – keine derart markante Silhouette mit den verschiedenen Türmen. Auch die unterschiedlichen Größenverhältnisse zwischen den in der Bucht ziehenden Segelbooten und den Bauten sind nicht dazu angebracht, von einer Aufnahme nach der Natur zu sprechen – zu groß sind die Boote geraten und man gewinnt angesichts solcher Unstimmigkeiten den Eindruck, dass es sich um eine Ansicht handelt, die auf die Erlebnisse des Südens zurückgeht. Es scheint, als sei die Frage nach der konkreten Topografie nachrangig; vielmehr hat Rauch aus der Erinnerung eine Vorstellung vom Süden imaginieren wollen. Der Blick über die Bucht, die seltsam eingespannt zwischen den Landzungen wirkt, geht von den begrünten Felsen imVordergrund über die imDunst der Sonne liegende Stadt bis zu den steil aufsteigenden, kargen Bergen, die im Licht der Abendsonne erstrahlen.Hier liegt die großeStärke desMalers: In der Schilderung vonAtmosphäre,Wetter,Licht und Farbe erreicht Rauch einenNuancenreichtum, der die ganze Landschaft zumVibrieren bringt. In der Stadt steigt Rauch auf – es brennt offensichtlich –, die rötlichbraunen Mauern wechseln sich in ständigem Rhythmus mit dem fahlen Grün der Vegetation ab und alles ist von einer ungewöhnlich skizzenhaften, nahezu ruhelosen Pinselführung geprägt, die Anleihen an der Spontanität seiner eigenen Aquarelle nimmt. Nicht von ungefähr hat ein

26 | 27 2 | Rom. Neues im Fach der schönen Künste, in: Kunstblatt 23, 1842, Nr. 31, 19. April, S. 123. 3 | Ebd. 4 | Kunstnachrichten aus Rom, in: Kunstblatt 24, 1843, Nr. 51, 27. Juni, S. 213. zeitgenössischer Kritiker anlässlich einiger in Rom ausgestellter Gemälde von Rauch angemerkt, dass seine „Auffassung genial und die Ausführung keck“ sei. 2 Der Kritiker bemerkte allerdings auch eine gewisse Rastlosigkeit in seinen Gemälden – es sei, als fände das Auge „nicht genug Rast“ und „wird vielleicht zu sehr beunruhigt“. 3 Und an anderer Stelle heißt es:„So schön auchEinzelnes ist, eine etwas unruhigeWirkung, die von demMangel an großenMassen und von der übermäßigen Vertheilung der Lichter herrühren dürfte.“ 4 Tatsächlich findet auch auf unserer unvollendeten Skizze das Auge in den ineinander verschachtelten Häuserkuben, die sich bis auf die Anhöhe ausbreiten, kaum Halt und es herrscht ein Reichtum an Formen undMotiven, der damals zweifellos manche Sehgewohnheit überfordert haben dürfte,während uns heute ihre skizzenhafte Ausführung durch ihre Spontanität und flirrende Unmittelbarkeit direkt anspricht.

# 28 | 29 10 1 | Friedrich Leopold Graf zu Stolberg: Reise in Deutschland, der Schweiz, Italien und Sicilien, hg. von Johannes Janssen, Mainz 1877, Bd. 2, S. 51. 2 | Zitiert nach Ina Weinrautner: Friedrich Preller d. Ä. (1804–1878). Leben und Werk, Münster 1997, S. 343. Öl auf Leinwand 27,5 ✗ 40 cm Unten links monogrammiert und datiert: „DM/ 6 / 52“ Küste bei Capri, 1852 Unbekannt (19. Jahrhundert) „Keine der Inseln, welche wir auf dieser Reise sahen, hat ein so wildes Aussehen wie Capri, deren Ufer und Gipfel schroff, felsig und gezackt sind“ notierte FriedrichLeopoldGraf zu Stolberg 1792 auf seiner Reise durchDeutschland, die Schweiz und Italien 1, und der Weimarer Maler Friedrich Preller, der Capri im Sommer 1860 zusammen mit seiner Familie besucht hatte, vertraute am 12. Juli seinem Tagebuch an: „Obgleich Capri fast nur aus öden Felsen besteht, ist doch derWechsel von Formen und deren Zusammenstellung so mannigfaltig, dass der Gedanke von Einförmigkeit nicht aufkommt.“ 2 1792, als Graf Stolberg Capri besuchte, rückte die im Golf von Neapel gelegene, heute beliebte Urlaubsinsel Capri erst langsam ins Bewusstsein der reisenden Künstler – das hatte sich bis 1860, als Preller kam, grundlegend geändert: Vor allem die Entdeckung der Blauen Grotte, der Grotta Azzurra, jener Verkörperung der Romantik schlechthin, durch den Autor August Kopisch und denMaler Ernst Fries 1828 hatte Capri auf die Liste der Orte katapultiert, die man als Künstler aufsuchen musste. Zuvor hatte bereits 1818 der geschäftstüchtigeWirt DonMichele Pagano seine berühmte Locanda eröffnet, in der nahezu alleMaler und Schriftsteller bis ins ausgehende 19. Jahrhundert Unterkunft fanden. Sie kamen, um die Grotta Azzurra zu sehen und zu malen, die mächtigen, torartigen Felsen der Faraglioni zu schildern oder das damals gemächlicheTreiben auf Capri zu beobachten. Unser Maler dagegen hat kein Interesse an den genannten Sehenswürdigkeiten, er wirft den Blick von den felsigen Gestaden Capris über das Meer auf den sich im fernen Dunst erhebenden Vesuv. Seine sanft an- und absteigende Silhouette steht im Gegensatz zu den schroffen, bizarren Felsformationen im Vordergrund; er bildet gleichsam nur noch die topografische Folie, die der Darstellung Authentizität verleiht, doch das malerische Interesse richtet sich auf die nahsichtig gegebenen „öden“ Felsen, die direkt an der Küste aus demWasser emporzuwachsen scheinen. Mit großem Gespür für das Spiel desWassers auf den Felsen, von Licht und Schatten folgt der Maler den Felsen, unterzieht sie einer malerischen Autopsie, geht ihrer Anatomie in Licht und Farbe in einer Weise nach, die an PrellersWorte erinnert – dass die Felsen in Form, Farbe und Licht eine solche Vielfalt bieten, dass keine Einförmigkeit entstehen kann. Es ist ein „großes“, karges Gebirge im Kleinen, das der Vegetation nur geringen Raum lässt: Nur mühsam behauptet sie sich in niedrigemWuchs auf und zwischen den Felsen, die im Licht der Sonne in vielfältigen Braun- und Ockertönen erstrahlen. Die malerisch reizvolle Ölstudie sucht noch ihren Maler – sie ist unten links mit „DM“ monogrammiert und offensichtlich im Juni 1852 entstanden, doch ist

30 | 31 3 | Brief an seine Eltern vom 14. August 1835, vgl. Carl Morgenstern und die Landschaftsmalerei seiner Zeit, Ausst.-Kat. Museum Giersch, hg. von Sophia Dietrich, Petersberg 2011, S. 88. 4 | Felsblöcke imMeer bei Terracina, 1836, Öl auf Malpappe, 25,2 ✗ 38,1 cm, Privatbesitz, vgl. Carl Morgenstern, Ausst.-Kat. Kunsthandlung J. P. Schneider, Frankfurt am Main 1993, Nr. 18, Farbabb.; Felsige Küste amMittelmeer, Öl auf Papier, auf Leinwand aufgezogen, 27 ✗ 41 cm, Privatbesitz, vgl. ebd., Nr. 10, Farbabb. es bisher nicht gelungen, denMaler namhaft zu machen. Das Nebeneinander von nah und fern, von Detailreichtum in der Nähe und atmosphärischemAufscheinen in der Ferne, ist noch romantisches Erbe, doch ist es nicht mehr der Blick eines Romantikers.UnserMaler gehört einer neuen, bereits der realistischen, unmittelbaren Naturbeobachtung verpflichteten Generation an – die Ölstudie erinnert an die Klage des Frankfurters Carl Morgenstern, der 1835 anlässlich seines Besuchs auf Capri anmerkte, es sei hier sehr schwer, „einenVordergrund, der etwas hinauf geht, zu componieren“. Man sei „tief am Meere, so ist der Horizont immer hart geschnitten,weil wir denTeil von unseremHorizont bis zu den entferntenGebirgen nicht sehen (natürlich).“ 3 Es mag scheinen, dass unser Maler diesem Problem begegnete, indem er seine Ölstudie als Nah- und Fernbild gestaltete, doch ist auch sie keine Komposition; die eng gefasste Ansicht ist ein Ausschnitt, der tatsächlich Verwandtschaft mit ähnlich nahsichtig aufgefassten Studien Morgensterns zeigt. So wären etwa seine 1835 in Terracina entstandenen Felsenstudien zu nennen 4, weshalb es gut möglich ist, dass der Maler unserer Ölstudie aus seinem weiteren Umkreis stammt bzw. von diesem angeregt ist.

32 | 33 11 # Andreas Achenbach (1815 Kassel – Düsseldorf 1910) Öl auf Leinwand 25 ✗ 36,5 cm Unten rechts signiert und datiert: „A.Achenbach 1846.“ Provenienz: Auktion Lempertz Köln, Auktion 864, 20.November 2004, Lot 1211; PrivatsammlungWestfalen Abendlicher Blick über den Golf von Neapel, 1846 Am 16. September 1843 machte sich Andreas Achenbach auf den Weg nach Italien und kam imOktober in Rom an, wo er dem Land, seiner neuen Umgebung und ihren künstlerischen Möglichkeiten mit Distanz und Skepsis begegnete: „Nach der Natur habe ich auch nichts gemalt, bloß gezeichnet und meistens Bäume aber keine Pinien.Dazu bin ich noch zu bange hat man die einmal gezeichnet so ist ein Schritt der erste Schritt zumVerderben meiner nordischen Richtung getan, was ich hier überhaupt malen werde, weiß ich nicht, vielleicht bloß nordische Sachen“, schrieb er am 29. Oktober 1843 an seinen Studienfreund Gustav Lange in Düsseldorf. 1 Knapp zwei Jahre später, nach seiner Rückkehr im August 1845 nach Düsseldorf, heißt es in einem Brief an E. L. Carey, einem Kunden in Philadelphia: „[Ich bin] durch die großartige und in der Farbenkraft alles übertreffende Natur […] so für den Süden eingenommen [sei], dass es mir jetzt doch unmöglich wäre, mich wieder in das dunkleNorwegen zu versetzen.“ 2 Gegensätzlicher könnten die beiden kaum zwei Jahre auseinanderliegenden Urteile nicht sein – sie dokumentieren auf eindrückliche Weise, wie der Aufenthalt in Italien auch Achenbach verwandelt hat: „Nordische Sachen“ hat er dort jedenfalls nicht gemalt; er hat sich stattdessen auf seine neue Umgebung eingelassen, sich von ihr umwehen und vomLicht des Südens verzaubern lassen. Achenbach hat von Rom aus auch die Gelegenheit genutzt, Neapel und Sizilien zu besuchen; genaue Reisedaten sind bisher zwar nicht bekannt, doch datiert vom 14. Mai 1845 eine Zeichnung mit der Ansicht des Vesuvs 3 – der rauchende Vulkan sollte unter den italienischen Motiven im malerischenWerk Achenbachs den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen:Wohl noch auf der Rückreise von Sizilien ist 1845 eine Ölstudie entstanden, die wie unser kleines Gemälde den Blick von Neapel über den Golf auf den Vesuv zeigt 4 – sie ist gleichsam das Urbild und liegt unseremGemälde zugrunde, das zwar erst 1846 nach Achenbachs Rückkehr nach Düsseldorf entstanden ist 5, doch noch ganz unter dem Eindruck von Licht und Farben des Südens steht. Den felsigen Küstenabschnitt leicht verändert, hat Achenbach den Vulkan etwas weiter in die Ferne gerückt, um ihn ganz im rötlichen Abendlicht aufgehen zu lassen. Das Bild ist erfüllt vom Abendrot und nur oben und in der Mitte behaupten sich schmale blaue Streifen des ruhig daliegenden Meeres und des Himmels – alles geht im Licht und der Farbe der untergehenden Sonne auf, alles ist durchdrungen von der Leuchtkraft der Farben, es ist ein Bild voller Sehnsucht und Spiegelungen. Deshalb trifft auf das Gemälde auch zu, was Anton von Perger 1854 zu Achenbachs Ansicht von Palermo bemerkte, die sich in der Sammlung des Grafen Franz von Thun in Wien befand: „Ganz vorzüglich zu bewundern ist die echt südliche Wärme des Tones, die durch den 1 | Vgl. Wolfgang Peiffer: Andreas Achenbach 1815–1910. Italienreise, Baden-Baden 2009, S. 43. 2 | Brief vom 13. August 1845, zitiert nach ebd., S. 80. 3 | Vesuv, Öl auf Karton, 19,5 ✗ 26,4 cm, Düsseldorf, Kunstpalast, Inv. Nr. M 4193. 4 | Blick über die Bucht von Neapel auf den rauchenden Vesuv, 1845, Öl auf Leinwand, 17 ✗ 21 cm, Privatbesitz, vgl. Michael Zeller Auktionen, Lindau, 18. April 2009, Los 2886. 5 | 1846 entstand zudem ein detaillierter ausgearbeitetes Gemälde vom gleichen Standort mit dem rauchenden Vesuv: Blick über die Bucht von Neapel auf den rauchenden Vesuv, 1846, Öl auf Leinwand, 81 ✗ 58 cm, Hampel Kunstauktionen, München, 28. März 2003, Los 188.

34 | 35 herannahenden Untergang der Sonne zu wahrer Gluth gesteigert wird, und sich von der fernsten Ferne bis ganz in den Vordergrund gleichmäßig und wie aus einem Gusse erstreckt.“ 6 Das Licht und die Leuchtkraft der Farben werden bei Achenbach zumAusdrucksträger einer individuellen, subjektivenWahrnehmung, die bereits vorimpressionistische Züge trägt. Im Gegensatz zu seinem Bruder Oswald, der im Laufe seines langen Lebens Italien immer wieder bereist hat und mit seinenAnsichten von dort das Italienbild in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wesentlich mitbestimmte, blieb Italien für Andreas Achenbach Episode: Nur noch zweimal – 1850 und 1872 – sollte er dorthin reisen, doch haben ihn die Aufenthalte verwandelt und gelehrt,was Farbe, Licht, Raum und Atmosphäre für seine Kunst bedeuten. 6 | Anton von Perger: Die Kunstschätze Wien’s in Stahlstich nebst erläuterndem Text, Triest 1854, S. 182.

# 36 | 37 HeinrichTank: Netzflickerin, 1836,Öl auf Holz, 56 ✗ 49 cm. Leipzig,Museum der Bildenden Künste, Inv.-Nr. 1719.© akg-images. 12 1 | Georg Kaspar Nagler: Neues allgemeines Künstler-Lexikon oder Nachrichten von dem Leben und den Werken der Maler, Bildhauer, Baumeister, Kupferstecher, Lithographen, Formschneider, Zeichner, Medailleure, Elfenbeinarbeiter etc., Bd. 20, München 1850, S. 245. 2 | Philip Weilbach: Dansk Konstnerlexikon, Kopenhagen 1877/78, S. 671. 3 | Vgl. Fortegnelse over danske kunstneres arbejder paa de ved det Kgl. Akademi for de skjønne kunster i aarene 1807–1822 afholdte Charlottenborg-udstillinger, samlet og udgivet af Carl Reitzel, med en indledning af Julius Lange, Kopenhagen 1883, S. 664. 4 | Vgl. Maximilian Speck von Sternburg. Ein Europäer der Goethezeit als Kunstsammler, Ausst.-Kat. Museum der Bildenden Künste Leipzig und Haus der Kunst München, hg. von Herwig Guratzsch, Leipzig 1998, S. 402, Abb. Öl auf Leinwand 57 cm ✗ 49 cm Unten rechts signiert und datiert: „Tanck 1835“ Die Netzflickerin, 1835 Heinrich Friedrich Tank (1807 Altona – München 1872) Als einen „der vorzüglichsten jetzt lebendenMaler“ bezeichnet Georg Caspar Nagler den aus Altona stammenden Maler Heinrich Friedrich Tank 1, der vonHamburg über Kopenhagen nachMünchen zog,wo er bis zu seinemTod 1872 lebte.Naglers Einschätzung mag Erstaunen hervorrufen, denn heute ist Tank wie so vieleMaler des 19. Jahrhunderts weitgehend vergessen, doch ist seineWiederentdeckung nicht ohne Reiz. Aus Altona gebürtig, das damals noch dem dänischen Königreich angehörte, ging Tank nach Kopenhagen, wo die dortige Akademie, an der bereits die großen aus Norddeutschland stammenden Romantiker Philipp Otto Runge und Caspar David Friedrich Ende des 18. Jahrhunderts ihre Karriere gestartet hatten, in den späten 1820er Jahren nichts von ihrer Attraktivität als Ausbildungsstätte eingebüßt hatte. Über Tanks Tätigkeit dort ist allerdings wenig bekannt, doch muss er seine Studien zügig vorangetrieben haben, denn 1827 erhielt er eine Silbermedaille und 1828 bewarb er sich erfolglos um ein Reisestipendium. 2 Offensichtlich etablierte er sich aber in der Folge in Kopenhagen als Maler von Seestücken und auch als Porträtist und beteiligte sich wiederholt in den frühen 1830er Jahren an den Frühjahrsausstellungen auf Schloss Charlottenborg 3, bevor er 1835 nach einem längeren Zwischenstopp in Hamburg nachMünchen ging. In dieses persönliche Umbruchjahr fällt unser Gemälde mit der Netzflickerin, und man kann nur spekulieren, ob es noch in Kopenhagen, in Hamburg oder bereits in München entstanden ist. Beschäftigt hat das Thema Tank in München allerdings auf jedenFall noch – 1836 entstand eine im Format übereinstimmende Wiederholung, die sich heute in der ehemaligen Sammlung des Maximilian Speck von Sternburg in Leipzig befindet (Abb. rechts). 4 Auf beiden Gemälden sitzt ein Fischermädchen vor ihrer Hütte am Strand, damit beschäftigt, ein Fischernetz zu flicken. Sie hat ihre Tätigkeit kurz unterbrochen – offensichtlich ein Moment des Innehaltens, denn ihre Hände ruhen in ihrem Schoß und sinnend blickt sie auf

38 | 39 5 | Zweites Verzeichniss der Gemälde-Sammlung sowie der vorzüglichsten Handzeichnungen, Kupferstiche, Kupferstichwerke und plastischen Gegenstände des Freiherrn v. Speck-Sternburg, Erb-Lehn- und Gerichtsherrn auf Lützschena in Sachsen, Freyroda in Preussen, St. Veit in Bayern etc. etc. […], herausgegeben und mit historisch-biographischen Bemerkungen und Erklärungen begleitet von dem Besitzer derselben, Leipzig 1837, S. 26, Nr. 255. 6 | Der Großvater mit seinen Enkeln, 1841, Öl auf Karton, 24,5 ✗ 24 cm, Leo Spik, Berlin, Auktion 592, 23. März 2000, Los 341. 7 | Vgl. Der Tod und das Meer. Seefahrt und Schiffbruch in Kunst, Geschichte und Kultur, hg. von Stefanie Knöll, Handewitt 2012, S. 62. das weite Meer, wo sich in der Ferne einige Schiffe zeigen. Welchen Gedanken sie nachgeht, enthüllt einVers, der sich ehemals auf der Fassung in der Sammlung Speck von Sternburg befand 5: „Hier sitz' ich sinnend amMeeresstrand, Und sehne mich nach meinen Lieben; Das Netz nur in der ruhenden Hand Ist mir allein noch treu geblieben.“ Tank variiert damit ein Thema der Romantik, bei dem die verlassene Frau am Meeresstrand auf die glückliche Rückkehr der Fischer wartet bzw. die heimkehrenden Fischer begrüßt. Von Franz Ludwig Catel bis Peter Fendi gehörte das Motiv – zumeist noch mit einem kleinen Kind – zum Repertoire einer Zeit, in der das Meer noch nicht seinen Schrecken verloren hatte. Tank selbst hat das Motiv der Rückkehr später in kleinen Gemälden thematisiert, auf denen der Großvater mit seinen Enkeln die Fischer begrüßt 6 oder die Fischersfrau mit ihren beiden Kindern auf die glückliche Heimkehr des Mannes hofft (Abb. rechts) 7, doch macht Tank auf unserem Gemälde daraus noch mehr eine Kontemplation über das Meer. Die Fischerin, deren Pose sicher auf eine Modellsitzung imAtelier zurückgeht, ist in Betrachtung über das weite, nur leicht bewegte Meer versunken, auf dem am Horizont einige Schiffe sichtbar sind. Sie hängt ihren Gedanken nach und es scheint, als ob der Maler diesen Reflexionen in dem roten, durchhängenden Vorhang sinnbildlichAusdruck verleiht.Er schützt die Fischerin vor der einfallenden Sonne und setzt in seiner delikaten, die Stofflichkeit betonenden Malweise nicht nur einen starken Farbkontrast zumBlau desHimmels und desMeeres, sondern bestimmt mit seinen durchhängenden Stoffbahnen gleichsam den Rhythmus des Gemäldes – das Motiv wird im Rock der Fischerin und imNetz auf vielfältigeWeise wieder aufgenommen.Tanks Seestück ist eine Betrachtung über das einsame Leben am Meer, über die Vereinzelung des Menschen und steht damit einer nordischen Tradition nahe, wie sie Caspar David Friedrich etwa mit seinen das Meer betrachtenden Rückenfiguren begründet hatte. HeinrichTank:Wartende Fischersfrau (Rømø), 1840,Öl/Lw, 45,7 ✗ 60,2 cm.©SHMH-­ Altonaer Museum, Inv.-Nr. 1985-94.

# 40 | 41 13 1 | Mehr Licht.Die Befreiung der Natur.Die Kunst der Ölstudien im 19. Jahrhundert, kuratiert von Florian Illies, Ausstellung im Kunstpalast Düsseldorf vom 08. 02. – 07. 05. 2023. Öl auf Papier 25,8 ✗ 33,5 cm Verso bezeichnet: „Sestri Levante“ Meeresbrandung bei Sestri Levante Unbekannt (19. Jahrhundert) Heute feiern Ölskizzen des 19. Jahrhunderts als Gattung der Landschaftsmalerei wie zuletzt in Düsseldorf 1 große Erfolge; ihr unverstellter Blick auf dieNatur gilt als modern und erst jetzt wird ihr jeneAufmerksamkeit zuteil, die es auch der Öffentlichkeit ermöglicht, das künstlerische Potenzial dieser Malerei in Augenschein zu nehmen. Im 19. Jahrhundert jedoch fanden die Maler für solche Arbeiten, von Ausnahmen abgesehen, kaum Abnehmer – man geht sicher nicht zu weit, wenn man sagt, ein Jahrhundert hätte sich dieser Gattung verweigert. Sie überforderte damals manche Sehgewohnheit und es war deshalb immer wieder eine bewusste Entscheidung desMalers, sich mit der Gewissheit, dass eine solche Studie nicht verkäuflich ist, dieser Gattung zu widmen. Die Gründe dafür sind vielfältig und je nach Maler individuell, doch vor allem stand die eine künstlerische Herausforderung: einen Moment der in Bewegung geratenen Natur zu bannen. Dies gilt für Wolkenstudien genauso wie für das Meer, dem sich bereits spätromantische Maler wie Johan Christian Dahl, Johann Heinrich Schilbach oder Heinrich Reinhold gewidmet hatten. Auch in der Meeresstudie konnte spätestens seit Gustave Courbets Ende der 1860er Jahre am Strand von Etretat in der Normandie entstandener Folge von nahezu 60 Studien der stürmischen See das Meer als Metapher für ein in Bewegung geratenes Zeitalter gelten, das sich ständig veränderte. Courbet erfasste die Gewalt und ungestüme Kraft des Meeres mit radikalen Bildmitteln; seine Farben sind geschichtet, gespachtelt und mit dem Palettmesser großflächig verstrichen – soweit geht der unbekannteMaler unserer Skizze nicht, wie er überhaupt in der Frage etwas unentschieden ist, ob es sich um eine Meeresstudie handelt oder doch um eine Landschaftsstudie.Die Radikalität Courbets traute er sich jedenfalls nicht ganz zu: das tosendeMeer mit seinen schäumenden Wellen, die sich an dem vorgelagerten Felsen brechen, wird nahsichtig und ganz unmittelbar erfasst, doch spannt er es nicht wie dieser in denBildraum ein – er vermeidet die Reduzierung auf den eng gefassten Ausschnitt. Mit breiten, kraftvollen Pinselschwüngen und -zügen verfolgt unser Maler das Spiel der Brandungswellen, das einer sich ständig wiederholenden Choreographie von Heranrollen, Brechen, Auslaufen und Zurückziehen folgt. Die Spuren des Malens sind sichtbar, man kann Richtung und Ansätze des Pinsels nachvollziehen, was so der immerwährenden Bewegung desMeeres malerisch Ausdruck verleiht.Wie Courbet vermeidet der Maler reine Farben, in das Weiß der Schaumkronen mischt sich Schwarz – ein Farbton, der in den dunklen Felsen, demStrand und nicht zuletzt in den ähnlich bewegten Wolken wieder aufgenommen wird. Das Meer mit seinen tosenden, brechenden Wellen, deren Brandungsgeräusche man zu vernehmen

42 | 43 meint, dominiert auch hier den Bildraum, doch wird er überfangen von einem unruhigen, dunklen Himmel, unter dem sich in der Ferne die Silhouette einer weit gefassten Küstenlandschaft ausbreitet. Laut der rückseitigen Beschriftung soll es sich um einen Küstenabschnitt bei Sestri Levante an der italienischen Riviera handeln – möglicherweise der Blick über die Bucht bis nach Portofino. Man wird den Maler der reizvollen Studie nicht bestimmen können, doch möchte man am ehesten einen deutschen Maler annehmen – vielleicht aus dem Umkreis der DüsseldorferMalerschule, in der etwa die Brüder Achenbach zu ähnlichen Lösungen kamen.

# 44 | 45 Camille Corot: Cività Castellana – Rochers à Pic, um 1826. Öl auf Papier, 28 ✗ 50 cm. Privatbesitz. 1 | Vgl. Carl Hummel 1821–1907, Ausst.-Kat. Städtische Galerie in der Reithalle Paderborn-Schloß Neuhaus, hg. von Andrea Wandschneider, Paderborn 2005, S. 117, Nr. 17–18, Abb. S. 63. Öl auf Leinwand 25 × 36,4 cm Provenienz: Aus demNachlass des Künstlers.Grisebach 2017 Literatur: Carl Hummel.Werke aus demNachlass des Künstlers. Katalog zur Ausstellung bei Grisebach, Berlin undMünchen 2017/18.Mit Beiträgen von HermannMildenberger, Celia-Margaretha Girardet und Florian Illies, Berlin-München 2017,Nr. 20, Abb. Felsiges Waldtal bei Cività Castellana Die Jahre 1842 bis 1846 verbrachte Carl Hummel, der Schüler Friedrich Prellers, in Italien – zwar zumeist in Rom, doch bereiste er auf den Spuren seines Lehrers auch intensiv das Land, besuchte Sizilien undCapri und die nähere Umgebung von Rom. 1844 wandte er sich nachNorden, hielt sich inNarni auf,wo einige Landschaften direkt vor der Natur entstanden 1, und dürfte bei dieser Gelegenheit auch das nurwenigeKilometer südlich gelegeneCivitàCastellana besucht haben, jene alte auf einem Felsplateau über den tief eingeschnittenen Tälern des Rio Maggiore und des Rio Filetto gelegene etruskische Metropole der Falisker. Seine spektakuläre, malerische Lage hatte Cività Castellana zu einem beliebten Studienort deutscher und französischer Künstler gemacht, die hier Quartier nahmen und es zum Ausgangspunkt ihrer Streifzüge durch die benachbarten Täler machten – am bekanntesten ist Camille Corot (Abb. unten), der dort in Begleitung von Johann Carl Baehr im Frühjahr 1826 auf Ernst Fries traf. Hummels besonderes Interesse hatten in Narni die schroffen, ins südliche Licht getauchten Karstfelsen geweckt, und auch die Umgebung der Faliskerstadt mit ihren zerklüften, steil abfallenden Felsformationen bot in dieser Hinsicht vielfältige Motive. Die Künstler waren fasziniert von den hohen rötlichen, bisweilen bizarren Formationen der Tuffsteinfelsen, die sich gegen die vielfältigen Formen der üppigenVegetation zu behaupten versuchten – sie machten den Kontrast von Vegetation und schroffen, leuchtendemGestein zu ihremThema. Hummels in Cività Castellana entstandene Studie wird beherrscht von einem mächtigen Felsen, den er in leichter Diagonale ins Bild gesetzt hat, die dem Gemälde eine subtile Dynamik verleiht. Der Bewegungsimpuls des nach links abfallenden Felsen wird nicht nur von dem angrenzenden, durch eine tiefe Schlucht getrennten Felsen horizontal aufgefangen – die sich in den Felsen durch Wind und Wetter eingegrabenen Furchen betonen als Gegengewicht die Vertikale. So entsteht ein feines Geflecht verschiedener, auch gegenläufiger Bewegungen, die aber ganz verhalten anklingen, weil Hummel die Einzelformen zu einem Ganzen zusammenbindet, in demVegetation und Felsen zu einer Einheit verschmelzen. Die Carl Maria Nicolaus Hummel (1821 Weimar 1907) 14

46 | 47 2 | Camille Corot: Civita Castellana - Rochers à Pic, 1826/27, Öl auf Papier, 28 ✗ 50 cm, Galerie Kornfeld Auktionen AG, Bern, Auktion 17. Juni 2022, Los 31. Vgl. Alfred Robaut: Corot. Catalogue raisonné et illustré, Bd. II, Paris 1965, Nr. 178. 3 | Albert Hertel: FelsigesWaldtal bei Cività Castellana, 1864, Öl auf Leinwand, 32 ✗ 49,5 cm, vgl. Das glücklichste Jahrhundert träumen. Ölgemälde und Ölstudien des 19. Jahrhunderts, H.W. Fichter Kunsthandel, Frankfurt am Main 2017, S. 12–13, Abb. 4 | Guido Joseph Kern: Albert Hertel, in: Zeitschrift für bildende Kunst 55, 1920, S. 280. wuchernde Vegetation scheint sich des Felsens zu bemächtigen, überzieht ihn gleichsam von oben und unten; mit ihren verschiedenen Grüntönen belebt sie den amorphen Felsen und gibt ihm eine lebendige Struktur. Hummels Studie steht in der Tradition der Freilichtmalerei und doch abstrahiert er von der Naturbeobachtung, allerdings ohne die Bildordnung zu verlieren – Licht, Farbe und Raum sind greifbar und der fließende Pinselstrich notiert mit großer Ausdruckskraft die vielfältigen Stofflichkeiten von Gelände und Vegetation. Eine „stumpfe“, erdige Farbigkeit von kraftvollem, fließendem Duktus kontrastiert dabei zum blau leuchtenden Himmel – aus demGegensatz zwischen Himmel und Erde bezieht die Studie ihre Wirkmacht, die nicht ohne Dramatik bleibt, in der von fern noch das Vorbild der heroischen Landschaftsmalerei von Hummels Lehrer Friedrich Preller nachklingt. Zugleich erinnert sie aber auch an Corot, der nicht zufällig denselben Felsen gemalt hat 2 –Hummel ist derjenige, der Prellers klassischen Kanon modifizierte,weiterentwickelte und ihn für die Freilichtmalerei öffnete. Der mächtige Felsen blieb auch für künftige Generationen attraktiv – der Berliner Maler Albert Hertel, der sich von 1863 bis 1867 in Italien aufhielt und sich dort dem Kreis um Heinrich Dreber anschloss, malte den Felsen so 3, dass es ihm gelang, „Italien ganz mit dem Auge eines Malers aufzufassen und als rein malerisches Erlebnis wiederzugeben.“ 4 Ähnliches ließe sich auch von Hummel sagen, der weder Idealist noch Romantiker, aber auch kein reiner Realist war, sondern Elemente dieser Stilrichtungen zu einer ganz eigenen Bildauffassung verband.

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