Gezeichnete Kunst 21

Gezeichnete Kunst 21 „und rings die Herrlichkeit der Welt!“

Inhalt Abraham Bloemaert Umkreis S. 6 Heinrich Ludwig Keller S. 10 Carl Friedrich Grünwald S. 12 Johann Georg von Dillis S. 16 Johann Carl Baehr S. 20 Georg Moller S. 24 Wolkenstudie S. 28 Otto Wagner S. 30 Carl Graeb S. 32 Carl Wilhelm Götzloff S. 36 Joseph Selleny S. 40 Friedrich Preller d. J. S. 44 Johann Paul Wallot S. 48 Albert Venus S. 54 Viktor Paul Mohn S. 58 Gustav Seelos S. 62 Friedrich Preller d. Ä. S. 66 Wilhelm von Kobell S. 68 Johann Gottfried Schadow S. 72 Lord Byron auf dem Sterbebett S. 76 Christian Friedrich Gonne S. 78 Johann Moritz Rugendas S. 82 Anton Burger S. 86 Georg Philipp Rugendas S. 90 Anamorphosen S. 94 Adam Friedrich Oeser S. 100 Daniel Nikolaus Chodowiecki S. 104 Franz Ludwig Catel S. 108 Carl Wilhelm Tischbein S. 112 Ludwig Emil Grimm S. 116 Hans Veit Schnorr von Carolsfeld S. 120 Carl Jakob Lindström S. 124 Giuseppe Moricci S. 130 Bonaventura Genelli S. 134 Hans Thoma S. 140

Autoren AF Aurelio Fichter AS Andreas Stolzenburg AT Anna Toepffer BO Benedikt Ockenfels PP Peter Prange

6 | 7 Paul Bril:Tempel der Sibylle inTivoli, Kreide,Tusche und Bleistift, 28,1 × 25,1 cm, Musée du Louvre, Paris,© bpk | RMN - Grand Palais | Adrien Didierjean 1 # Abraham Bloemaert (1566 Gorinchem – Utrecht 1651) Umkreis Feder und Pinsel in Braun auf Papier 32,5 × 25,1 cm Verso mit Sammlungsstempel Heinrich Lempertz (Lugt Nr. 1337) und Zuschreibung an Paul Bril, sowie bezeichnet: „Coll. Bagelaar Ellinckhuysen“ Provenienz: ErnstWillem Jan Bagelaar (1775–1837), Eindhoven; Sammlung Ignatius Franciscus Ellinckhuysen (1814–1897), Rotterdam; FrederikMuller & Co und C.M.van Gogh, Amsterdam, Auktion 16.–17. April 1879 (Besitz Ellinkhuysen), Los 49; Sammlung Heinrich Lempertz (1816–1898), Köln; Auktion J.M.Heberle, Köln, 17.10.1905 (Nachlass Lempertz), Los 91 (Dort mit dem Vermerk: „Aus Der Sammlung Ellinckhuysen“); Privatbesitz Deutschland Ansicht des Tempels der Vesta in Tivoli, um 1600 Über den mächtigen Wasserfällen des Anio erhebt sich in Tivoli auf der ehemaligen Akropolis der Tempel der Vesta, jener aus dem Ende des vorchristlichen zweiten Jahrhunderts stammende römische Rundtempel, der seine Überlieferung bis in die heutige Zeit seiner Umwandlung in die Kirche Santa Maria Rotonda verdankt. Seiner pittoresken Lage über dem Anio wegen geschätzt, gehörte seine Darstellung seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert zum festen Repertoire des reisenden Künstlers. Um 1800 besuchten Scharen von Malern Tivoli, um sich von dem erhabenen Naturschauspiel der Wasserfälle und von dem malerischen Ausblick auf den Vestatempel verzaubern zu lassen. Zu den frühesten Entdeckern dieses reizvollen Fleckens gehörte Jan Brueghel der Ältere, der während seines Aufenthalts in Italien auch zu Beginn der 1590er Jahre in Tivoli zeichnete. Von ihm existiert eine Ansicht des Vestatempels, die vor Ort am 6. Juli 1593 entstanden ist, 1 und wiederholt hat er denVestatempel in die Silhouette seiner Fantasielandschaften aufgenommen. 2 Gleichzeitig hat auch der aus Antwerpen stammende Paul Bril Tivoli aufgesucht – Bril war 1582 nach Rom gekommen und war dort mit seinen Landschaftsgemälden sehr erfolgreich. Von ihm existieren kleinformatige Fantasielandschaften mit der Ansicht desVestatempels inTivoli, 3 und verschiedene Zeichnungen bezeugen seinenAufenthalt in dem Städtchen östlich von Rom (Abb. unten). 4 Unser Blatt galt in den Sammlungen Bagelaar, Ellinckhuysen und Lempertz ebenfalls als Zeichnung Brils, doch besteht zu den für ihn gesicherten Zeichnungen über das Motiv hinaus keine nähere Verbindung. Brils Textur aus sich verdichtenden, teilweise sich überlagernden Parallel- und Kreuzschraffuren, die sich bis in die Spitzen des Blattwerks fortsetzen, 5 ist hier einem fedrig schwingenden Blattwerk gewichen, das zu einer summarisch-ornamentalen Stilisierung tendiert, die sich zunehmend vom Naturvorbild löst. Dem Zeichner unseres Blattes ist in der Darstellung des Baumschlags, aber auch in der Verwendung der Parallel- und Kreuzschraffuren eine gewisse Manieriertheit eigen, die eher an 1 | Jan Brueghel d. Ä., Fantasielandschaft mit Vestatempel, Paris, Fondation Custodia, Collection Frits Lugt, Inv. Nr. 6599, vgl. Bedoni 1983, S. 30, Tafel 2. 2 | Jan Brueghel d. Ä., Ruhe auf der Flucht, Privatbesitz, vgl. Ertz 1979, S. 558, Nr. 10, Abb. 2, und Küstenlandschaft mit Vesta-Tempel, Kassel, Museumslandschaft Hessen-Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister, Inv. Nr. GK 48, vgl. Ebd., S. 559–560, Nr. 17, Abb. 200. 3 | Paul Bril, Fantasielandschaft mit Vestatempel, Köln, Wallraf-Richartz-Museum, Inv. Nr. 3178, vgl. Cappelletti 2005, S. 221, Nr. 21, Abb.

8 | 9 Zeichnungen Abraham Bloemaerts und seines Kreises erinnert. 6 Eine genauere Einordnung ist für den Moment nicht möglich, weshalb die Frage nach dem Autor des Blattes fürs Erste offenbleiben muss. PP Literatur Bedoni 1983: Stefania Bedoni: Jan Brueghel in Italia e il Collezionismo del Seicento, Firenze-Milano 1983. Cappelletti 2005: Francesca Cappelletti: Paul Bril e la pittura di paesaggio a Roma 1580–1630, Rom 2005. Ertz 1979: Klaus Ertz: Jan Brueghel der Ältere (1568–1625). Die Gemälde mit kritischemOeuvrekatalog, Köln 1979. Ruby 1999: LouisaWood Ruby: Paul Bril:The Drawings,Turnhout 1999. 4 | Paul Bril, Tivoli mit Vestatempel, Paris, Louvre, Inv. Nr. 19.774, Inv. Nr. 19.773 und Inv. Nr. 19.816, vgl. Ruby 1999, S. 97–98, Nrn. 47–49, Pl. 51–53. 5 | Paul Bril, Weg in einemWald, Paris, Louvre, Inv. Nr. 19.776, vgl. Ebd., S. 90, Nr. 35, Pl. 36. 6 | Für den Hinweis auf Bloemaert danke ich Annemarie Stefes, Bremen (E-Mail vom 11. März 2022).

10 | 11 2 # Heinrich Ludwig Keller (1778 Zürich 1862) Aquarell über Tinte auf Papier 22,9 × 20,6 cm Unten mittig eigenhändig bezeichnet: „Auf der Rigi=Culme gesehen Ao1804. / den 11 Aug: eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang“.Von fremder Hand bezeichnet: „H. Keller. / 1804, gleichzeitig mit dem ersten Rigi-Panorama von Keller gezeichnet.“ Optische Täuschung auf dem Rigi, 1804 Ein Kartograph ist auch immer ein Naturbeobachter. Den Gipfel von Rigi Kulm hat der Schweizer Künstler Heinrich Keller, der eine kartographische Anstalt führte und die ersten Schweizer Schulkarten und Schulatlanten herausgab, mehrfach bestiegen. Er gab den Ausblick so realistisch wie möglich wieder, vermaß, verortete und benannte die Täler und Höhen. So entstanden zahlreiche Panoramakarten dem Rigi, die mit den stetig steigenden Tourismusströmen einhergingen. Auf unserem Blatt scheint weniger das Vermessen der Welt, sondern die Betrachtung der Natur im Vordergrund zu stehen. Wie bereits Goethe während seines Rigi-Besuches 1775 schwärmend notierte: „und rings die Herrlichkeit der Welt!“, hält auch Keller in dem vorliegenden Aquarell ein herrliches Naturspektakel fest.VomRigi Kulm genießt man den Ausblick auf die unendlicheWeite der Himmels- und Gebirgslandschaft. Vom Gipfelkreuz im seitlichen Sichtfeld richtet sich der Blick auf einen in eineWolkendecke gehüllten zweiten Berg. Und als sei der Berg ein Spiegelbild, wird auch dieser von einemKreuz bekrönt. In einem wundersamen Moment tritt die Sonne hervor und setzt das Kreuz flimmernd in Szene.Lichtbänder verschiedener Farben umscheinen kreisbogenförmig inwachsenden Radien das Gipfelkreuz. Ein erhaben schönes Ereignis. AT

12 | 13 3 # Carl Friedrich Grünwald (1791 Dresden – Königgrätz 1849) Federzeichnung und Aquarell auf Papier,Wasserzeichen: „C & I Honig“ 45,7 × 57,0 cm Verso bezeichnet und signiert: „Parthie aus demLoschwitzer Grunde gz. n. d.Natur v. C. F. Grünewald [sic]“ Parthie aus dem Loschwitzer Grund, um 1820 1 | Brückner 1803, S. 23–24. 2 | Ebd., S. 28. 3 | Ausst.-Kat. Dresden 1814, S. 8, Nr. 57. „Eine alte Mühle mitten im Thale, von hervortretenden und wieder schwindenden Bergsatteln umlagert, führte uns zu einem der schönsten Plätze, würdig, da zu weilen und uns in den wohlthätigen Stralen des grossenWeltenlichts zu sonnen. Unbefangen und schuldlos spielte ein zweyjährigerKnabe, sich und dem alleinwachendenAuge sorgender Vorsicht überlassen, an der Quelle, die wenig Schritte davon das Maschinenwerk in Bewegung sezte, das den Fleiss des ehrlichenMüllers auf eine ergiebigeWeise belohnte.Wir traten ein in dieses Heiligthum der Natur, wo Unschuld und Freude sich einen Altar erbaut zu haben schienen, auf dessen Stufen wir, von ihrer Priesterin mit einem herzlichen Handdruck begrüsst und eingeladen, opfern sollten.“ So heißt es etwas frömmelnd in den Pitoreskische[n] Reisen durch Sachsen des Johann Jakob Brückner anlässlich eines Besuchs der alten Hänselmühle im Loschwitzer Grund. 1 Brückners Bericht ist eine Illustration dieser Partie im Loschwitzer Grund von Christian August Günther beigefügt, der Carl Friedrich Grünwalds Ansicht weitgehend entspricht. Grünwalds vom gleichen Standpunkt aufgenommene, monochrome Aussicht zeigt das lebhafte Treiben vor der imTal an dem Loschwitzbach gelegenen Schneidemühle der Familie Hänsel – Baumstämme liegen zur Weiterverarbeitung bereit, die Wege von Ausflüglern und Waldarbeitern kreuzen sich und Kinder spielen mit dort weidenden Ziegen. Es ist ein stimmungsvolles Bild wild romantischen Charakters voller landschaftlicherWandlungen – „ein endloserWechsel anziehender und das Auge fesselnderGruppenundGestaltenderBäume“undder„überzustürzendrohenden Felsenmassen, derwunderlichenKrümmungen desBachs, der dasThal bewässert“ bemerkt Brückner. 2 Die verschiedenen Gründe – enge und tief eingeschnittene Täler mit reißenden Bächen und Wasserfällen – in der Umgebung von Dresden waren voller pittoresker Einfälle, die um 1800 ersteTouristen und auch zahlreiche Künstler anlockten. Einer der ersten, der sich von der Wildnis der dortigen Natur angezogen fühlte, war der 1764 als Kupferstecher an die neugegründete Akademie berufene Schweizer Adrian Zingg, der bereits in den 1780er Jahren die Umgebung Dresdens zusammen mit seinen Schülern zeichnend erwanderte. Auf ihn geht die Bezeichnung Sächsische Schweiz für das Elbsandsteingebirge zurück, das ihn an die Landschaft seiner Heimat erinnerte, und er war mit seinen zumeist nach der Natur gezeichneten, großformatigen Ansichten aus der Sächsischen Schweiz in Sepia undTusche ausgesprochen erfolgreich; in dieserTradition steht auch die Ansicht von Grünwald, der vor 1810 zeitweise Zinggs Schüler war und sich an den jährlichen Akademieausstellungen nach 1810 wiederholt beteiligte. 1814 hatte er „eine Parthie aus Loschwitz“ eingereicht 3 – es ist anzunehmen, dass

14 | 15 Literatur Ausst.-Kat.Dresden 1814:Verzeichniß derjenigen Kunstwerke, welche den 24stenMärz, […] von der Königl. Sächsischen Akademie der Künste öffentlich ausgestellt werden, Dresden 1814. Brückner 1803: Johann Jakob Brückner: Pitoreskische Reisen durch Sachsen oder Naturschönheiten Sächsischer Gegenden gesammelt auf einer gesellschaftlichen Reise von Brückner und Günther,Heft III, Leipzig 1803. Weisheit-Possél 2010: SabineWeisheit-Possél: Adrian Zingg (1734–1816). Landschaftsgraphik zwischen Aufklärung und Romantik, Münster 2010. 4 | Dieser Anspruch muss aber nicht bedeuten, dass Grünwald das Blatt vor Ort gezeichnet hat; wahrscheinlicher ist, dass es auf Studien vor Ort zurückgeht, die Grünwald dann im Atelier ausgearbeitet hat, wie es auch bei Zingg allgemein üblich war. Allerdings berichtet Zinggs Schüler Konrad Gessner, der in den 1780er Jahren für zwei Jahre zur Lehre bei ihm war, dass dieser auch an Ort und Stelle seine Zeichnungen mit Tusche vollendet hat. Vgl.WeisheitPossél 2010, S. 192. es sich dabei um vorliegendes Blatt handelt. Man kann sich gut vorstellen, dass Grünwald auf einer seiner Wanderungen in die Umgebung von Dresden den lieblich-stimmungsvollen Ort zeichnete – dieses unmittelbare Erlebnis sollte auch der damals gleichsam programmatische Zusatz „gezeichnet nach der Natur“ bezeugen. 4 PP

16 | 17 4 # Johann Georg von Dillis (1759 Gmain – München 1841) Schwarze und weiße Kreide auf blauem Papier 21,3 × 26,6 cm Unten mittig eigenhändig bezeichnet: „aufsteigendes Gewitter im eigenen Garten“ Wolkenstudie 1 | Dillis zeichnete offenbar auch von seinen Mietwohnungen in München in der Nähe des Prinz-Carl-Palais, zunächst „im Schönfeld 122“ (heute Schönfeldstraße 10), später in der „Frühlingsstraße 130“ (heute Von-der-Tann-Straße 11), vgl. Messerer 1966, S. 236 (c). 2 | Ausst.-Kat. München 1991, S. 106, Nr. 24 (Hinrich Sieveking). Für Johann Georg von Dillis, der sein Leben zu gleichen Teilen in zwei Jahrhunderten verbrachte, hatten farbige Papiere als Zeichengrund seit jeher eine besondere Bedeutung. Bereits in den 1790er Jahren erprobt, begann er seit etwa 1810/20 bevorzugt auf blauem Papier mit schwarzer und weißer Kreide zu zeichnen.Unter diesenBlättern ragen seineWolkenstudien heraus, die neben seinen Ölskizzen seinen Beitrag zur internationalenModerne um 1800 ausmachen. Zeitgleich etwa mit John Constable oder Jean-Baptiste Camille Corot widmete sich Dillis einem meteorologischen Phänomen, das gleichermaßen in Kunst und Wissenschaft – vor allem durch die Publikationen des englischen Meteorologen Luke Howard und Goethes – auf vielfältiges Interesse in ganz Europa stieß. Zumeist aus dem Fenster seines Münchner Amtszimmers im Geschoss über den Hofgartenarkaden – sein Dienstsitz als Inspektor der Hofgartengalerie – richtete Dillis seinen Blick auf die Flüchtigkeit der am Himmel ziehendenWolken, neben denen häufig die Türme der Theatinerkirche ins Bild kommen. 1 Es gehört zu seinen großen Leistungen, diesen vergänglichen Himmelserscheinungen – ohne jeden Sinngehalt – bleibende Bildgestalt verliehen zu haben; allein der Naturbeobachtung verpflichtet, erschöpfte sich das Motiv für ihn nie, weil es sich ihm zu jeder Tages- und Jahreszeit imWechsel von Licht, Stimmungen und atmosphärischen Erscheinungen immer wieder aufs Neue darbot. Seine Wolkenstudien sind Dokumente eines flüchtigen, aus der Beobachtung der Natur gewonnenenMoments, dem der stetigeWechsel von Gestalt und Form eigen ist – sie sind gleichsam die zeichnerische „Formung des Formlosen“, wie es Goethe ausdrückte.Die dabei verwendeten Zeichenmittel – schwarze und weiße Kreide auf blauem Papier – ermöglichten ihm die erforderliche schnelle Arbeitsweise.Während „die poröse Kreide auf dem rauh gerippten Papier zarte Übergänge [schuf ], wie sie denen der Wolkengebilde entsprechen“ 2, spiegelte der blaue Zeichengrund das Firmament, den endlosen Himmel wider. Die ausgefranste, unregelmäßige Silhouette des Papiers ergibt dabei keine klare Umrandung – der Umriss des Zeichengrundes bleibt in Bewegung, verändert sich und wird wie der Himmel entgrenzt. Dillis hat die durchgefärbten Papierbögen meist in der Mitte geteilt und die Trennlinie als oberen Rand verwendet, so dass die Ränder links und rechts sowie unten den unregelmäßigen Schöpfrand des Büttens zeigten. Für unser Blatt hat Dillis dagegen einen Bogen verwendet, den er geviertelt hat, so dass der Schöpfrand nur links und oben sichtbar ist. Oft finden sich auf den Wolkenstudien Angaben zu Ort, zur Uhrzeit oder Wettersituation, vereinzelt auch Farbnotizen.Auf unseremBlatt hat Dillis am un-

18 | 19 teren Rand notiert: „aufsteigendes Gewitter im eigenen Garten“ – von rechts beginnen dunkle Gewitterwolken ins Bild zu drängen. Es dürfte nicht inMünchen, sondern imVoralpenland entstanden sein – links neben demHaus erstreckt sich, sich in zarten schwarzen Schraffuren vom blauen Grund abhebend, am unteren Rand in der Ferne ein Gebirgszug. Die Gelegenheit, das aufsteigende Gewitter im Bild zu bannen, bot sich Dillis offensichtlich anlässlich eines seiner zahlreichen Besuche bei seinen Verwandten oder seines Elternhauses in Gmain bei Schwindkirchen, worauf nicht zuletzt die Angabe „im eigenen Garten“ deuten dürfte. PP Literatur Ausst.-Kat.München 1991: Johann Georg von Dillis 1759–1841. Landschaft undMenschenbild, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Neue PinakothekMünchen/Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Albertinum,München 1991. Messerer 1966: Briefwechsel zwischen Ludwig I. von Bayern und Georg von Dillis 1807–1841, hrsg. und bearbeitet von RichardMesserer, München 1966.

20 | 21 5 # Johann Carl Baehr (1801 Riga – Dresden 1869) LavierteTusche über Bleistift auf Papier,Wasserzeichen: „FJ“ 20,3 × 33,2 cm Unten links eigenhändig bezeichnet und datiert: „Porta Laterano Jun[?] 30 Roma 28“ Provenienz: Georg Denzel (1873München – 1959München); Dr. F.Wilhelm Denzel (20. Jahrhundert) Ruinen der Porta San Giovanni in Rom, 1828 1 | Zitiert nach Zschoche 2001, S. 19. 2 | Zum Motiv vgl. Joseph Rebell, Porta San Giovanni, Wien, Österreichische Galerie, Inv. Nr. 5818; Friedrich Nerly, Büffelherde vor der Porta San Giovanni und Porta Asinaria, Erfurt, Angermuseum, Inv. Nr. 3175; Deutsch, 1820/30, Italienische Ruine, Villa Grisebach, Berlin, Auktion 270, 31. Mai 2017, Los 140, Abb. 3 | Vgl. Senf 1957, S. 183, Nr. 21. 4 | Beide haben bisweilen nahezu identische Ansichten geschaffen, z. B. am 16. April 1828, als sie gemeinsam Pozzuoli am Golf von Neapel besuchten; zu Baehrs Blatt vgl. Grisebach, Berlin, Auktion 334, 1. Dezember 2021, Los 105, Abb.; zu Oesterleys Fassung vgl. Senf 1957, S. 184, Nr. 29, Abb. 36. „Es gibt nur eine Campagna, nur ein Rom. So still und einsam war es hier, nichts erinnert an Kultur, und in weiter Ferne sieht man einige einzelne Wohnungen oder große alte Ruinen, unabsehbare Linien mit zarten Bewegungen, so groß wie hier die Gegend kann es nirgends geben, sie hat einen unbeschreiblichen Reiz.“ Dies notierte der aus Riga stammende JohannCarl Baehr – einNachfahre von George Bähr, dem Erbauer der Dresdner Frauenkirche – am 26. November 1827 in sein Tagebuch anlässlich eines Ausfluges nach Cervara bei Rom. 1 Etwas von diesem besonderen Reiz der „unabsehbaren Linien mit zarten Bewegungen“ in der römischen Campagna erzählt auch diese Sepiazeichnung von Baehr. Sein Blick auf die Ruinen der Porta San Giovanni und der benachbarten Porta Asinaria, 2 die Teil der aurelianischen Stadtmauer waren, beschreibt in sanft an- und absteigenden Linien eine karge, vegetationslose Landschaft, in deren Hintergrund sich die endlosen Bögen der Aqua Julia aneinanderreihen und die Berge der Campagna zarte Linien bilden. Es ist eine ruhige, stille Landschaft von unendlicher Weite und Einsamkeit – nur zwei Spinnerinnen schauen von einer Anhöhe auf die beeindruckende Leere, während sich vor ihnen rechts am Rand zwei weitere Personen niedergelassen haben. Baehr war im Herbst 1825 über den Umweg Paris gemeinsam mit Jean-Baptiste Camille Corot erstmals nach Rom gekommen und von 1827 bis 1829 hielt er sich dort ein weiteres Mal auf.Während dieses Aufenthalts traf er dort auch seinen Studienfreund Carl Oesterley aus Göttingen wieder, mit dem er in Dresden im Haus ihres Lehrers, des Galeriedirektors Johann Friedrich Matthäi, gewohnt hatte. Zusammen mit Oesterley reiste Baehr Anfang April 1828 nach Neapel, wo sie sich bis Ende Mai aufhielten, und unternahm mit ihm auch Expeditionen in die nähere Umgebung von Rom. Einer dieser Ausflüge führte sie Ende Januar 1828 an die aurelianische Stadtmauer bei San Giovanni in Laterano, wo am 22. Januar eine Ansicht der Porta San Giovanni von Oesterley entstanden war. 3 Baehrs Blatt ist unten links ebenfalls datiert, doch ist die Datierung nicht eindeutig lesbar – seine Ansicht ist entweder am 30. Januar oder erst nach der Rückkehr aus Neapel am 30. Juni entstanden. Beider Zeichnungen dieser Zeit ähneln sich sehr und der motivische Zusammenhang mit Oesterleys Blatt legt auch für Baehr die frühere Entstehung nahe, 4 als beide zusammen Rom zeichnend entdeckten, sich beiderseits inspirierten und sich in ihrer malerischen Auffassung von Zeichnung gegenseitig bestärkten. In Rom standen beide dem Kreis der Nazarener nahe, denen vor allem Julius Schnorr von Carolsfeld mit seinen Sepiazeichnungen im Römischen Landschafts-

22 | 23 buch neue Wege in die Landschaft gewiesen hatte, die von Zeitgenossen wie Ludwig Richter begierig aufgenommen wurden. In dieser Tradition steht auch Baehrs Ansicht, in der er zu einer ganz eigenen, von der Natur abstrahierenden Ausdrucksweise gelangt. Sein Blatt ist ein eindrückliches Beispiel für die gestalterische Kraft des Südens, unter dessen Licht sich die karge Landschaft beinahe zu verflüchtigen scheint. PP Literatur Senf 1957: Renate Senf: Das künstlerischeWerk von Carl Oesterley, Berlin-Frankfurt 1957. Zschoche 2001: Johann Carl Baehr (1801–1869). Drei Reisen nach Italien, mit Auszügen seiner Tagebücher und Briefe, hrsg. von Hermann Zschoche, Frankfurt amMain 2001.

24 | 25 6 # Georg Moller (1784 Diepholz – Darmstadt 1852) Aquarell undTusche auf Velinpapier 34,7 × 24,9 cm Unterhalb der Darstellung in schwarzer Tusche bezeichnet: „KIRCHEZUOPPENHEIM. / Details eines Fensters.“ Die Oppenheimer Rose, um 1821 1 | Vgl. hierzu Jungkenn 1938, S. 135–169. 2 | Vgl. Märker 2015, S. 218– 223, Nrn. Z 194–Z 199, Abb. 3 | Moller 1821, Taf. XXXVI. 4 | Ebd., S. 15–16. Als am 31.Mai 1689 auf Befehl LudwigsXIV. die Stadt Oppenheim durch französischeTruppen vollständig zerstört wurde, 1 blieb auch die dortige Katharinenkirche von den Verwüstungen nicht verschont. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wurden nur allernotwendigste Restaurierungen bzw.Sicherungsmaßnahmen durchgeführt, doch mit dem während der Befreiungskriege ausgebildeten Nationalbewusstsein hatte man die Bedeutung der mittelalterlichen Bauten als Denkmäler deutscher Geschichte erstmals wahrgenommen. Auf demWiener Kongress war demGroßherzogtumHessen, zu dem auch die romanischenKaiserdome inWorms undMainz gehörten, dieProvinzRheinhessen mit Oppenheim zugeschlagen worden. Großherzog Ludwig I. von Hessen setzte sich besonders für den Erhalt der mittelalterlichen Bauwerke ein, und bereits 1815 war auch dieKatharinenkirche in den Fokus des Interesses geraten, als Carl Philipp Fohr dort bildmäßigeAquarelle von derKirche undDetailstudien der Fensterrosen schuf. 2 Mit ihm gekommen war der Darmstädter Oberbaudirektor Georg Moller, bei demFohr Unterricht imFach Perspektive erhalten hatte.Moller hatte seit 1815 die Denkmäler der Deutschen Baukunst herausgegeben, in denen auch die Katharinenkirche mit höchst qualitätvollen und genauen Stichen vertreten war, u. a. mit einem eigenen Bild die hier vorgestellte Rose am südlichen Seitenschiff (Abb rechts), 3 zu der er in seiner „Erklärung der Kupfertafeln“ anmerkte: „Die große, hier abgebildete Fensterrose gehört zu den schönsten ihrer Art. Die reichste Mannigfaltigkeit ist in derselben mit der grössten Einheit verbunden, indem die zwanzig schmalen Blätter der Rose wieder in fünf Hauptblätter zusammengefasst werden.Die verschiedenen Glieder, aus denen die Verzierungen zusammengesetzt sind, haben, wie die Abbildung deutlich macht, eine nicht weniger richtig gedachte Anordnung, indem der stark vortretende Rundstab die Haupteintheilung des Fensters bildet; das etwas zurücktretende, vorne wie ein halbes Sechseck gebildete Glied, die innere Zeichnung der fünf grossen Blätter bestimmt, und das noch immer zurücktretende, fast spitz geformte Glied, die innere Verzierung der zwanzig schmalen Blätter der Rose bildet.“ 4 Kirche zu Oppenheim. Details eines Fensters, aus: GeorgMoller: Beiträge zur Kenntniss der deutschen Baukunst des Mittelalters, Darmstadt 1821,Tafelband,Taf.XXXVI

26 | 27 5 | Frölich/Sperlich 1959, S. 80. 6 | Ebd., S. 79. 7 | Moller 1818, S. 10, Anm.1. 8 | Zitiert nach Frölich/Sperlich 1959 (Anm. 5), S. 52. 9 | Müller 1858. Mollers Beschreibung entspricht das vorliegende Blatt, dass mit dem Stich seiner Publikation bis in die Beschriftung vollständig übereinstimmt, weshalb davon auszugehen ist, dass es sich um die vonMoller geschaffeneVorlage handelt.Moller nennt zwar auf zahlreichen Tafeln des ersten Teils seiner Publikation die ausführenden Stecher, doch keine Zeichner – die Angabe imTitel „dargestellt von Georg Moller“ lässt jedoch vermuten, dass die Vorlagen vonMoller selbst stammen. 5 Tatsächlich hatte Moller in den Stichen auf eine aufwendige Ausführung „mit Licht undSchatten“verzichtet und ließ seineZeichnungen nur alsUmrissstiche reproduzieren, weil dasWerk „nicht zu theuer“ sein durfte. 6 Den Aufwand, auf den Moller in seiner Publikation verzichtete, scheute er jedoch nicht in der Vorzeichnung – sie darf zumBesten gezählt werden,was die deutscheArchitekturzeichnung nach 1800 hervorgebracht hat. Die farblich unterschiedliche, zarte Aquarellierung lässt die Rose vor dem dunklen, neutralen Grund im Licht haptisch in einerWeise hervortreten, die gleichermaßen überwältigend und suggestiv ist.Auf die Darstellung der Glasfenster hat Moller deshalb verzichtet, weil es ihm um die genaueWiedergabe der filigranen Architektur ging: „Gründliche mit Auswahl gemachte Aufnahmen der merkwürdigstenGebäude jenerZeit sind uns vor derHand nötiger, als gewagte Theorien“, notierte er in seinen Bemerkungen zumKölner Domriss, den er entdeckt hatte. 7 Mollers Ziel war es, auf einem exakten Aufmaß beruhende Bauzeichnungen zu liefern, die eine genaue Vorstellung von den Bauten gaben und diese nachhaltig dokumentierten. Mollers Beschäftigung mit der Katharinenkirche steht am Beginn einer ganzen Reihe ähnlicher Publikationen zur mittelalterlichen Baukunst in Deutschland – nicht zuletzt auch diejenigen von Sulpiz Boisserée, der Moller bereits 1810 kennengelernt hatte und in sein Tagebuch notierte: „Die neue Freude an Oppenheim und die Vorliebe von Moller für das eigentlich Deutsche überhaupt“ hätten in ihm den Gedanken geweckt, „ein allgemeinesWerk teutscher [gotischer] Baukunst zu veranstalten.“ 8 Und wenig später, zwischen 1823 und 1836, legte der Darmstädter Galeriedirektor FranzHubertMüller in acht Lieferungen einMappenwerk vor, das den Bau der Katharinenkirche und ihre Ausstattung auf zahlreichen Tafeln nicht nur vorstellte und erläuterte, 9 sondern auch den Auftakt einer Diskussion um den Wiederaufbau bildete, der allerdings erst 1879 in Angriff genommen wurde. PP Literatur Frölich/Sperlich 1959:Marie Frölich/Hans-Günther Sperlich: GeorgMoller: Baumeister der Romantik, Darmstadt 1959. Jungkenn 1938: Ernst Jungkenn: Die Entfestigung und Zerstörung Oppenheims 1689 imZusammenhang mit der französischen Rheinpolitik, in: Neue Forschungen zur Geschichte Oppenheims und seiner Kirchen, hrsg. von Ernst Jungkenn, Oppenheim 1938, S. 135–168. Märker 2015: Peter Märker: Carl Phlipp Fohr 1795–1818.Monographie undWerkverzeichnis, unter Mitwirkung von Hinrich Sieveking und Sabine Gottswinter,München 2015. Moller 1818: GeorgMoller: Bemerkungen über die aufgefundene Originalzeichnung des Domes zu Koeln […], Darmstadt 1818. Moller 1821:GeorgMoller undErnstGladbach:Beiträge zur Kenntniss der deutschenBaukunst desMittelalters[…],Darmstadt 1821, 1terTheil. Müller 1858: Franz Hubert Müller: Die St.-Katharinen-Kirche zu Oppenheim: ein Denkmal teutscher Kirchenbaukunst aus dem 13. Jahrhundert, geometrisch und perspectivisch dargestellt und mit einem erläuterndemTexte begleitet, Darmstadt 21858.

28 | 29 7 # Unbekannt (19. Jahrhundert) Aquarell über Bleistift auf Papier 13,3 × 21,7 cm Unten rechts eigenhändig bezeichnet und datiert: „Verunglückte Farbenskizze abziehendes Gewitter 29/4/6.“ und „Wasser“. Links unten bezeichnet: „Ellerbeck“. ImZentrum der Darstellung unleserlich bezeichnet. Wolkenstudie, um 1860 Zwei farblich kaum merklich unterschiedene schmale, gräuliche Streifen am unteren Rand des aquarellierten Blattes deuten in sanften Linien einen leicht abfallenden Höhenzug am niedrigen Horizont an; offensichtlich geht der Blick über einen See auf einen höhergelegenen Uferstreifen, denn am unteren Rand hat der Zeichner „Wasser“ notiert. ZwischenWasser und Ufer ist stellenweise der helle Papiergrund sichtbar – gleichsam als Grenze vonWasser und Land, an dem dunkle Partien dem Höhenstreifen vorgelagerte Gehöfte, Besiedelungen oder auch Vegetation anzudeuten scheinen. Darüber ziehen mit zartem Bleistift konturierte graueWolken auf, über denen blauer Himmel sichtbar ist.Über Land öffnen sich dieWeiten undTiefen des Himmels – dorthin,wo nah und fern nicht mehr zu unterscheiden sind. Die ruhige Szene wird nur links gestört, wo sich Wolken zu einem über dem Landstreifen liegenden Dunkelgrau verdichtet haben, durch das nur an einzelnen Stellen hellere Wolken durchscheinen. Es handelt sich – wie der Zeichner unten rechts vermerkt hat – um ein abziehendes Gewitter über einem See. Die graue Regenwand ist links im Abzug begriffen und wird nach dem Gewitter durch das Blau des Himmels wieder langsamverdrängt. In zarten, auf Grau- und Blautöne beschränkten Farben hat der Zeichner dasWetterereignis des abziehendenGewitters in allen Grauschattierungen erfasst, doch das Blatt später offensichtlich verworfen: Über der Bezeichnung „Farbenskizze abziehendes Gewitter“ hat der Zeichner nachträglich (?) mit etwas dünneremBleistift „Verunglückte“notiert – augenscheinlich hielt der Zeichner das Blatt in der Rückschau für nicht besonders gelungen. Tatsächlich legt ein solches Blatt die möglichen Tücken des Aquarells offen – die Gefahr des Ineinanderlaufens der Farbenwird an derGrenze zwischenWasser und Land sichtbar. Dies dürfte den Zeichner veranlasst haben, das Blatt zu verwerfen. Was jener damals als „verunglückt“ ansah, erhält für unsere an der Moderne geschulten Augen jedoch einen abstrakten, zeitgenössischen Charakter, der den besonderen Reiz desWerkes ausmacht. Trotzdem ist das Blatt ein charakteristisches Zeugnis der Freilichtmalerei bzw. des in der Natur aufgenommenen Aquarells und des Interesses an meteorologischen Phänomenen, wie es seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch in Deutschland verbreitet war. Der Beobachtung vonWolken und ihrer unterschiedlichen Formationen bis hin zur Schilderung vonGewittern und Unwettern galt das besondere Interesse der Freilichtmaler. Mit dem niedrigen Horizont, für den vor allem die norddeutsche Tiefebene bekannt ist, bezeugt der Maler unseres Blattes eine Weite des Himmels. Das Blatt ist der Datierung zufolge am 29. April in den 1860er Jahren – hinter der „6“ fehlt die genaue Jahresangabe – in Ellerbeck entstan-

den. Vermutlich ist damit der heute eingemeindete Weiler in der Umgebung von Osnabrück inNiedersachsen gemeint, der von zahlreichen Seen umgeben ist. Leider lässt die Beschriftung auf dem Blatt die Frage nach dem Zeichner unbeantwortet – es gibt keine Signatur, dieHinweise auf seine Identität geben könnte. Wer derZeichner des reizvollenBlattes ist, bleibt also bisher verborgen, doch hat er weitere Spuren hinterlassen: ImMai 2017 wurden imKunsthandel zwei Aquarelle angeboten, die auf der Rückseite mit „Ellerbeck 1860“ bezeichnet sind. 1 Ihre nahezu übereinstimmenden Formate, aber auch dieselbe Farbigkeit – eine Palette von unterschiedlichsten Grauschattierungen kombiniert mit einem kräftigen Hellblau – und nicht zuletzt die gleicheBildanlagemit demniedrigenHorizont lassen keinen Zweifel, dass es sich um denselben um 1860 tätigen, bisher unbekannten Aquarellisten handelt. PP 1 | Vgl. Villa Grisebach, Berlin, Auktion 270, 31. Mai 2017, Los 161 und 162, Abb.

30 | 31 8 # Otto Wagner (1803 Torgau – Dresden 1861) Tusche und Aquarell auf Papier 23,4 × 35,1 cm Verso in schwarzer Tusche bezeichnet: „Von Civitella nach Olevano“, ferner von fremder Hand nummeriert und bezeichnet: „OttoWagner“. Verso mit Sammlerstempel Georg und Dr. F.WilhelmDenzel.München. Provenienz: Georg Denzel (1873München – 1959München); Dr. F.Wilhelm Denzel (20. Jahrhundert) Auf dem Weg von Civitella nach Olevano, um 1831 An der Akademie in Dresden unter Johann Gottfried Jentzsch ausgebildet, machte sichOttoWagner vor allem alsMaler romantischer Ansichten seiner Heimatregion einen Namen, die er unter anderem als Vorlagen für umfangreiche Stichreihen fertigte. Später betätigte er sich zudem als Szenenmaler am Königlichen Hoftheater in Dresden. In den Jahren 1830/31 begab er sich auf eine längere Studienreise nach Italien, von der er auch unser Aquarell mitbrachte. Auf dem Weg von Civitella nach Olevano zeigt das Werk die Reiseroute unseres Künstlers in Richtung des bereits Anfang des 19. Jahrhunderts von deutschen Künstlern angepilgerten Ortes in der Campagna Romana. Am zerklüfteten Fels führt der schmale Pfad entlang des imposanten Abgrundes, bei dem man nur vermuten kann, wie es den reisenden Künstler gleichermaßen vor Furcht und Ehrfurcht geschwindelt haben muss. In südlicher Richtung gehend müssen sich dem Wanderer nicht erst seit Civitella Tag für Tag die beeindruckendsten Ausblicke eröffnet haben, sodass man sich mühelos in selbigen hineinversetzen kann, wenn man ihn sich staunend und unentwegt zeichnend vorstellen mag. Unser Aquarell, das aufgrund seiner Farbgebung wohl an einem hochsommerlichen Abend entstanden sein könnte, ruft pures Entzücken über die offene Weite der italienischen Hügellandschaft hervor. Im Bild staffeln sich ein, für die Skizze, sehr detaillierter, nahsichtiger Vordergrund und ein fast unendlich weite Ferne darstellender Hintergrund, abrupt getrennt lediglich durch die Kante des zu bewandernden Weges. Mit zarten Pinselstrichen gestaltet Wagner die nahen und fernen Hügelketten und setzt nur imVordergrund die vergleichsweise harte Kontur der Feder ein. Es entsteht ein faszinierend vielschichtiger Ausblick eines Reisenden, der nicht aufhören kann über die ihn umgebenden Natur zu staunen. BO

32 | 33 9 # Carl Graeb (1816 Berlin 1884) Aquarell über Bleistift auf Papier 21,3 × 14,9 cm Unten rechts signiert: „Carl Graeb“.Oben links nummeriert: „1.“ Blick über die Dächer von Salzburg, um 1839 1 | Die zarte Leichtigkeit der Farben –Wiederentdeckte Muskauer Aquarelle des Landschaftsmalers Carl Graeb (1816–1884), Sonderausstellung im Neuen Schloss im Muskauer Park, 20.6–1.11.2020. 2 | Zu Graebs Potsdam-Ansichten vgl. Harksen 1986, S 27–39. 3 | Müller 1860, S. 280. Der Berliner Carl Graeb rückte erst vor Kurzem wieder in das Bewusstsein einer kunstinteressierten Öffentlichkeit, als 2020 bei den Vorbereitungen zu einer Ausstellung über dasWirken von Prinz Friedrich der Niederlande in Bad Muskau zwei Mappen mit insgesamt 74 Aquarellen aus dem Muskauer Schlosspark von Graeb in Privatbesitz entdeckt wurden. 1 Nie zuvor war der Muskauer Schlosspark – heute UNESCO-Weltkulturerbe – in einer derart ausführlichen Weise künstlerisch dokumentiert worden – die Aquarelle ermöglichen einen Rundgang durch den gesamten Park, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach den Vorstellungen des damaligen Besitzers, Hermann Graf von Pückler-Muskau, als englischer Garten angelegt worden war. Als die Aquarelle in der zweiten Hälfte der 1850er Jahre entstanden, war Graeb bereits zum bedeutendsten Architektur- und Landschaftsmaler in Berlin aufgestiegen, der besonders von KönigWilhelm IV. und seiner Familie protegiert wurde. 1851 zum Hofmaler ernannt, hatte Graeb seit dem Regierungsantritt des Königs 1848 der Potsdamer Schlosslandschaft in zahlreichen Aquarellen zu jener künstlerischen Geltung verholfen, 2 die noch heute unsere Vorstellung von den Schlössern in Potsdam und Umgebung prägt. Graeb stand damals im Ruf, „jeden Gegenstand nach seiner Eigenthümlichkeit wahr und wirkungsvoll zu verbildlichen; im Besitz einer auf strengem Studium beruhenden Kenntnis der Luft- und Linearperspektive, weiss er durch zweckentsprechende Anwendung dieser kraftvoll wirkenden Mittel dem anscheinend weniger Bedeutendem in der Natur eine wahrhaft künstlerische Bedeutsamkeit zu verleihen“. 3 Dem unscheinbaren Motiv „eine wahrhaft künstlerische Bedeutsamkeit“ zu geben – dafür ist unser Aquarell ein großartiges Beispiel.Graebs Blick über einen Innenhof auf die Dachlandschaft einer Stadt, in deren Hintergrund sich Türme undKuppel einerKirche schemenhaft in blass-bläulicherFarbigkeit erheben,wirkt in seiner Ausschnitthaftigkeit unmittelbar, wie ein spontaner Schnappschuss, ist jedoch Ergebnis einer ausgeklügelten Bildregie: Der Blick fällt zunächst gleichsam in das ‚Loch‘ eines Innenhofs mit seitlich perspektivisch exakt fluchtenden Brandmauern; hinter dem Hof sind die Kamine, Giebel und Türmchen auf den Dächern so zu einer pittoresken Gruppe angeordnet, dass die dahinter im Dunst erscheinende Kuppel von ihnen genau eingefasst wird. Die zarte, malerische Aquarellierung tritt mit unberührten, den Grundton des Papiers offen stehen lassenden Partien in Austausch, und schafft so das stimmungsvolle Bild eines trüben Tages. Hierin noch in der Tradition der Spätromantik stehend, gemahnt das Blatt in dem aus dem Fenster aufgenommenen engen Ausschnitt bereits an ähnliche Blätter AdolphMenzels.

34 | 35 4 | Ausst.-Kat. Berlin 1893, S. 6, Nr. 53. 5 | Ehemals Staatliche Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci, Inv. Nr. GK I 6862, vgl. Harksen 1986, S. 56, Nr. 124. Eine überzeugende Lokalisierung des Blattes ist bisher nicht gelungen, doch könnte es sich um einen Blick über die Dächer Salzburgs handeln, in deren Hintergrund sich die mächtige Kuppel der Kollegienkirche mit ihren beidenTürmen erhebt. Nach Graebs Tod 1892 wurde auf der von der Alten Nationalgalerie in Berlin ein Jahr später ihm zu Ehren veranstalteten Ausstellung ein Aquarell mit demTitel Hof in Salzburg präsentiert 4 – möglicherweise handelte es sich dabei um unser Blatt. Graeb hatte auf seinen zahlreichen Reisen Salzburg mehrmals besucht – bereits von 1839 stammt ein Blick auf Salzburg vom Kapuzinerberg 5 und 1853 reiste Graeb erneut ins Salzkammergut, doch dürfte die reduzierte Farbigkeit des Aquarells eher auf eine frühere Entstehung um 1839 deuten. PP Literatur Ausst.-Kat. Berlin 1893: Ausstellung des künstlerischen Nachlasses von Carl Graeb und Karl Eduard Biermann, Königliche NationalGalerie Berlin, Berlin 1893. Harksen 1986: Sibylle Harksen: Carl Graeb 1816–1884. Bestandskatalog Staatliche Schlösser und Garten Potsdam-Sanssouci, PotsdamSanssouci 1986. Müller 1860: FriedrichMüller: Die Künstler aller Zeiten undVölker oder Leben undWerke der berühmtesten Baumeister, Bildhauer, Maler, Kupferstecher, Formschneider, Lithographen etc., von den frühesten Kunstepochen bis zur Gegenwart, Bd. 2, Stuttgart 1860.

36 | 37 10 # Carl Wilhelm Götzloff (1799 Dresden – Neapel 1866) Federzeichnung auf Papier 33,7 × 49,7 cm Unten rechts in Bleistift bezeichnet: „La Vallee des Moul“ [Schrift beschnitten].Verso in Bleistift von fremder Hand bezeichnet: „Goetzloff dis“ Mühlental bei Amalfi, um 1823 1 | Ausst.-Kat. Lübeck 2014, Kat. 22, Se. 97, datiert auf den 12.8.1823 und mit den Maßen 32,7 x 45,7 cm. Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv. Nr. C 1921-84. Dieses Werk des Dresdner Malers Carl Wilhelm Götzloff ist weniger eine Zeichnung im Sinne einer Skizze, sondern erhebt den Anspruch eines vollendetenKunstwerks und steht ebenbürtig nebenGemälden oder Skulpturen.Wir befinden uns im emanzipierten Bürgertum, das durch sein Verlangen nach Bereicherung durch Kunst Zeichnungen und kleinere Gemälde salonfähig machte. Götzloffs Generation hat hiervon im Besonderen profitiert, konnte sie doch mit ihrem Changieren zwischen klassizistischem Ideal und realistischer Weltaneignung eine Brücke schlagen von derWelt des klassischen Adels hinein in die Bürgerstube der Käuferschicht.Und da bereits im 19. Jahrhundert das Reisen als Ausdruck eines bürgerlichen Aufstiegs gesehen wurde, kommt der nahen und fernen Landschaft eine besondere Bedeutung zu.DieMaler undZeichner bedienten und prägten diese Entwicklung gleichermaßen durch ihre Kunstwerke.Die klassizistischen Formenmuster sind dabei das historische Gerüst und bieten Rückversicherung, die Motive aber sind modern und real, frei von der antiken Götterwelt, die als Blaupause so viele Jahrhunderte alles bestimmte. Aus demMythos der Antike wird der Traum der Ferne, den man als Tourist in die Heimat holt. Was 1821 als Studienreise mit einem zweijährigen Stipendium begann,wurde für Götzloff zur Entdeckung einer neuenHeimat.Die ersten beiden Jahre standen imZeichen der Erkundung Roms und seiner Umgebung, oft begleitet von seinen Künstlerfreunden Johann Joachim Faber und Heinrich Reinhold. Wie sehr sich die Künstler gegenseitig prägten, zeigen Zeichnungen von gemeinsamen Ausflügen etwa nach Olevano. Unsere Zeichnung dürfte im Jahre 1823 entstanden sein. Götzloffs Stipendium wurde gerade um zwei Jahre verlängert und er reiste für mehrere Monate gemeinsam mit Reinhold und Faber an den Golf von Neapel. Datierte Zeichnungen aus dieser Zeit, etwa die beinahe gleichgroße Weinlaube bei Cava de‘ Tirreni 1 und weitere Blätter aus Capri und Sorrent lassen deutlich erkennen, wie Götzloff seinen Umgang mit der Feder perfektioniert hat und in der Lage war, lediglich durch Schraffuren und unterschiedliche Intensitäten der Tinte in der Monochromie Farbigkeit und Licht entstehen zu lassen. Darüber hinaus wird mit Federstrichen ein Labyrinth aus Formen geschaffen, die, je näher man schaut umso abstrakter werden. Sie verraten einen Künstler, dem die Dichotomie von Form und Inhalt immer bewusster wird. In der stetigen Verknappung, in der Abkoppelung des Strichs von seiner darstellenden Bedeutung schimmert schon jene Abstraktion, die sich im 20. Jahrhundert vollends entwickeln wird. Dass er dafür im großen Format komplizierte Landschaften mit verschachtelten Blickachsen sucht, verdeutlicht sein Interesse an komplexen Bildräumen, die es mit den ausgefeiltenMöglichkeiten der Federzeichnung zu erkunden gilt.Auch

in seinen späteren Gemälden findet sich dieses Interesse, auch wenn das Diktat des Marktes ihm häufig gefälligere Motive abverlangte, als er sie etwa in diesem Hauptblatt der ersten italienischen Jahre gesucht hat. AF Literatur Ausst.-Kat.Lübeck 2014: CarlWilhelmGötzloff 1799–1866. Ein Dresdner Landschaftsmaler amGolf von Neapel, Katalog zur Ausstellung imMuseum Behnhaus Drägerhaus, Lübeck, 2.5.–20.7.2014, hrsg. von Alexander Bastek,Markus Bertsch, Petersberg 2014.

40 | 41 11 # Carl Blechen: Bergschlucht, aus demAmalfiSkizzenbuch, Akademie der Künste, Berlin, Kunstsammlung, Inv.-Nr.: Blechen 55 Joseph Selleny (1824 Wien 1875) Aquarell über Bleistift auf Papier 37,0 × 26,8 cm Unten links signiert: „Jos. Selleny“. Unten mittig eigenhändig bezeichnet und datiert: „Eisenhammer imThal zu Amalfi Okt. 856.“ Der Eisenhammer im Mühlental zu Amalfi, 1856 1 | Vgl. Blechens Ansichten in seinem Amalfi-Skizzenbuch, Berlin, Akademie der Künste, vgl. Ausst.-Kat. Berlin 2010, hier besonders S. 190, Nr. 50, Abb. Joseph Selleny, dieser aus Wien stammende Abenteurer in Sachen Kunst – er umrundete als Mitglied einer transatlantischen Expedition zwischen 1857 bis 1859 mit der Fregatte Novara die Erde und hielt die Eindrücke dieser Reise in damals noch unbekannte Welten in zahlreichen Aquarellen und Skizzen fest – dieser unermüdliche Zeichner hatte zuvor das Land besucht, in dem die Zitronen blühen. Nach seinem Studium an der Wiener Akademie bei Franz Steinfeld undThomas Ender ermöglichte ihm der Rompreis der Akademie, den er 1847 erhalten hatte, 1854 endlich eine Studienreise nach Rom und Neapel, die ihn auch nach Amalfi führte. Dort ist es Carl Blechen gewesen, dessen 1829 entstandene, pittoreske Ansichten des Mühlentals bis heute unsere Vorstellung von diesem Ort prägen (Abb. unten). 1 Auch der Berliner Architekt Karl Friedrich Schinkel hatte es 1824 bereits eindrücklich beschrieben: „Von der Kirche gingen wir wieder auf den Platz herunter u verfolgten die Hauptstraße, welche gegen die Schlucht hinaufführt. Diese nimt bald den sonderbarsten Character an; sie schließt sich man geht durch Bögen und Gewölbe über denen Wege von einer Seite des Tales zur gegenüberliegenden führen, dann steigt man durch Treppen weiter. An den Seiten treten oft Felsen heraus, darinnen sieht man mehre grün bewachsene Hölen in welchen grosse Wassertröge ausgehauen sind und klares Gebirgswasser stürzt dahinein, an welchen die Weiber der Stadt immer zahlreich waschen. Mühlenwerke und dazugehörige Wasserleitungen alles wie in der Schweiz mit dem üppigsten Kraut bewachsen hängen unter dem Felsen der sich höhlenartig wölbt oder drängen sich in die Winkel hinein. Der Weg steigt stufenartig neben mit Mauern eingefaßten Flußbetten an, in denen oft Wasserfälle schon rauschen. Die Flußbetten sind oft mit breit gezogenen Weinlauben bedeckt u allerlei schöne Sitze und Gärtchen daneben angebracht; so geht es fort so daß man nicht zu sich kommt vor der Menge

42 | 43 2 | Tagebuch vom 12. September 1824, vgl. Koch 2006, S. 272. 3 | Wien, Dorotheum, Auktion 3. Oktober 2000, Los 76. 4 | Vgl. auch Enders vom nahezu gleichen Standort aufgenommenes Aquarell in Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle, Inv. Nr. 1988-4, vgl. Ausst.-Kat. Florenz 1989, S. 109, Nr. IV.5.17, Abb. mahlerischer Punkte. Am letzten Winkel scheint das Thal mit einem grossen viele Stockwerke hohen Fabrikgebäude geschlossen zu seyn worinn Papir gemacht wird, aber es wendet sich u führt zu sehr mahlerischen Eisenhämmern, die wir wegen der Kürze der Zeit nicht mehr erreichen konnten.“ 2 Selleny indes zeichnete, was Schinkel verwehrt blieb zu sehen: Eine erste Ansicht des bereits 1803 stillgelegten Eisenhammers entstand am 13. Mai 1854, 3 bevor Selleny im Oktober 1856 noch einmal nach Amalfi zurückkehrte, als unser Aquarell entstand. Es zeigt den Blick in das enge Tal mit den von Büschen und Bäumen gesäumtenUfern eines Bachs, über den sich eine Brücke spannt; dahinter türmt sich dasGebirge allseitig auf, die verlassene Fabrik gleichsam umschließend – Sellenys Aquarell blieb zwar unvollendet, doch illustriert es in seiner sprühenden Farbigkeit, die noch den Einfluss seines Lehrers Ender erkennen lässt, 4 anschaulich die Eindrücke, die Schinkel geschildert hat. PP Literatur Ausst.-Kat.Amalfi 1989: Alla ricerca del Sud.Tre secoli di viaggi ad Amalfi nell‘ immaginario europeo, Antico Arsenale, Amalfi, hrsg. von Dieter Richter, Florenz 1989. Ausst.-Kat. Berlin 2010: Carl Blechen.Mit Licht gezeichnet.Das Amalfi-Skizzenbuch aus der Kunstsammlung der Akademie der Künste, Berlin,Ausst.-Kat. StaatlicheMuseen zu Berlin/Hamburger Kunsthalle/Rom,Casa di Goethe, hrsg. von Rosa von der Schulenburg, Berlin 2010. Koch 2006: Georg Friedrich Koch: Karl Friedrich Schinkel. Die Reisen nach Italien 1803–1805 und 1824, überarbeitet und ergänzt von Helmut Börsch-Supan und Gottfried Riemann, Karl Friedrich Schinkel Lebenswerk, Bd.XIX,München-Berlin 2006.

44 | 45 12 # Joseph Anton Koch: Heroische Landschaft mit Regenbogen, 1805, 117 × 113 cm, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe. Friedrich Preller d. J. (1838 Weimar – Dresden 1901) Federzeichnung über Bleistift auf Papier 40,7 × 30,4 cm Unten rechts signiert und datiert: „FPreller Rom Febr. 62“ Provenienz: Sammlung Frickinger; Galerie Sabrina Förster, Düsseldorf (1992); Privatsammlung Westfalen Bei Olevano, 1862 1 | Vgl. Förster 1992, Nr. 15, Abb. Die Signatur unterscheidet sich deutlich von dem typischen ligierten Monogramm des Vaters und weist die Arbeit eindeutig als Werk des Jüngeren aus. Für die Einordnung als Arbeit Prellers d. J. danken wir Uwe Steinbrück, Universität Jena. 2 | Preller 1930, S. 182. Im Jahr 1862, als unser Blatt entstand, war die Romantik noch nicht ganz vorbei – die Landschaft auf unseremBlatt ruft die Erinnerung an ähnliche Berglandschaften deutscher Romantiker wach und arbeitet mit Motiven der Epoche. Ein Regenbogen spannt sich über die Berge in einerWeise, die an Joseph Anton Kochs 1805 vollendetesGemälde HeroischeLandschaft mitRegenbogen (Abb. unten) erinnert und auch die sinnend dieLandschaft betrachtendeRückenfigur desMönches gehört zumRepertoire der Romantik: Mensch und Natur gehen eine harmonische Einheit ein, in der derMönch angesichts der SchöpfungGottes demütig und andächtig einhält. Der Zeichner des reizvollen, bildhaft ausgearbeiteten Blattes ist der inWeimar beheimatete Friedrich Preller, doch war zunächst umstritten, ob es vomVater oder seinemgleichnamigenSohn stammt.VomKunsthandel früher alsArbeit des älteren Preller angeboten,1 hat sich inzwischen zuRecht dieMeinung durchgesetzt, dass es sich bei demBlatt um eine frühe Zeichnung seines talentierten Sohnes handelt.Die Unsicherheit über dieAutorschaft ist allerdings verständlich, denn tatsächlich könnte es von derAuffassung her auch vomVater stammen – zumal FriedrichPreller d.Ä. erst kurz zuvor von einerReise ausRomzurückgekehrtwar.DieSignatur lässt indes keinenZweifel, dass das Blatt imFebruar 1862 inRom zu einemZeitpunkt entstanden ist, als der Vater Preller nicht mehr in Rom weilte. Zurückgeblieben war aber sein Sohn Friedrich, der seinen Vater und seine Mutter auf dieser Reise begleitet hatte. Friedrich Preller d. J. hatte seit seiner „frühesten Kindheit eine nicht zu bezähmende Sehnsucht nach Italien, nach dem Süden überhaupt“ 2 in sich gespürt. Im Spätsommer 1859 war es endlich soweit – der 21jährige brach zusammen mit Mutter und Vater nach Rom auf, wo die Reisegruppe Anfang Oktober eintraf. Noch im selben Monat begaben sie sich sogleich in das östlich von Rom gelegene Olevano, jenem Sehnsuchtsort deutscher Künstler, den Koch kurz nach 1800 für die Kunst entdeckt hatte.Dort hatte Preller d. J. viel gezeichnet 3 und auch in den beiden darauffolgenden Jahren hatte er mit seiner Familie den in den Äquerbergen gelegenen Ort besucht, um dessen malerische Umgebung zeichnend zu erkunden. Diese Aufenthalte ruft das sorgfältig ausgearbeitete Blatt in Erinnerung, das in Rom im Atelier aus der Erin-

46 | 47 Literatur Ausst.-Kat. BadMuskau 2016: Italienische Landschaft der Romantik.Malerei und Literatur, BadMuskau,Neues Schloss, Dresden 2016. Förster 1992: Sabrina Förster:Meisterzeichnungen 1500–1900.Galerie Sabrina Förster, Katalog 22, Düsseldorf 1992. Preller 1904: Friedrich Preller d. J.:Tagebücher des Künstlers, hrsg. vonMax Jordan,München/Kaufbeuren 1904. Preller 1930: Friedrich Preller d. J.: Eine Künstlerjugend,Weimar 1930. Roquette 1883: Otto Roquette: Friedrich Preller. Ein Lebensbild, Frankfurt amMain 1883. Weinrautner 1997: InaWeinrautner: Friedrich Preller d. Ä. (1804 – 1878). Leben undWerk,Münster 1997. 3 | Notiz im Tagebuch des Vaters, vgl. Roquette 1883, S. 196. 4 | Wie eine solche Naturstudie aussah, zeigt ein 1896 vom nahezu gleichen Standort aufgenommenes Blatt, vgl. Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett, Inv. Nr. C 1963-1686. 5 | Weinrautner 1997, S. 214. 6 | Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Albertinum/Galerie Neue Meister, Inv. Nr. 2700, vgl. Ausst.-Kat. Bad Muskau 2016, S. 91–92, Abb. 7 | Roquette 1883, S. 216. 8 | Preller 1904, S. 52. 9 | Ebd., S. 56. 10 | Ebd., S. 103. nerung bzw. nach Studien vor Ort entstanden ist. 4 Es zeigt den Blick von Norden auf das Olevano benachbarte Civitella, das heutige Bellegra. Bereits seinem Vater war nirgends „der organische Zusammenhang in der Natur so klar wie hier“ 5 erschienen, und auch Preller d. J. besuchte diese Gegend wiederholt.Während seines Aufenthaltes in Olevano im August 1860 hatte er bereits den Blick von Olevano nach Civitella von ähnlicher Stelle in einer naturalistischen Ölstudie festgehalten 6 – unser später entstandenes Blatt bewegt sich indes zwischen Naturbeobachtung und romantischer Stilisierung.Der alles überspannendeRegenbogen inszeniert die Landschaft gleichsam als kosmologische Schau, der der stehende Mönch sinnend beiwohnt, und ist romantisches Erbe voller Poesie.DerMönch erinnert an jeneEpisode, die FriedrichsVater anlässlich eines Besuchs in San Pietro inVincoli imFrühjahr 1860 in seinemTagebuch notiert hatte:Von dort lag ihnen Rom zu Füßen und einMönch trat zu ihnen, der „still in sichversunken an einerBrustwehr [lehnte] und mit der schönen Umgebung wieder ein wahrhaft poetisches Bild [machte].“ 7 Auch das Blatt des jüngeren Preller ist voller dichterischer Tiefe und von erdgeschichtlicher Bedeutung in einerWeise erfüllt wie sie Joseph Anton Koch seinenGemälden und Zeichnungen zugrunde legte; und nicht zuletzt bezeugt diese Verbindung die Verwendung der monochromen Sepia, die Koch für bildhaft ausgearbeitete, für den Verkauf bestimmte Blätter bevorzugte. DessenWerke waren Preller d. J. durch seinen Vater bereits bekannt, der das Erbe Kochs bis in die zweite Jahrhunderthälfte trug, doch scheint auch die Begegnung mit Heinrich Dreber ihre Spuren hinterlassen zu haben.Ihn hattePreller noch 1859 inOlevano kennen- und schätzen gelernt; 8 er bewunderte dessen Arbeiten besonders, die „eine so ideale Schönheit, eine so reiche Phantasie und eingehende Kenntnis der Natur und dabei eine so bezaubernde Liebenswürdigkeit der Darstellung zeigten, daß ich ganz überwältigt war.“ 9 Es ist dieses harmonische Gleichgewicht zwischen Idealität und Fantasie, von Naturbeobachtung und Stilisierung, das auch Prellers Blatt auszeichnet. Es ist imFebruar 1862 inRom kurz vor Prellers Rückkehr nachWeimar entstanden. Noch Anfang des Jahres hatte er zusammen mit demTheologen Karl August von Hase, Kirchenrat aus Jena,Olevano kurz besucht, der „eine besonders reizvolle Stelle zwischen Olevano und Civitella […] von mir gemalt zu sehen“ 10 wünschte. Die Vorstellung, dass das poetische Blatt diese Begebenheit mit dem Theologen wiederspiegelt, ist nicht ohne Reiz. PP

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