Produktinformationen "Allegorische Darstellung"
Akteur und gleichzeitig zentrale Figur dieses Werkes ist ein Mann in brauner Toga mit Sense. Während sein Körper dem eines jungen virilen Mannes gleicht, offenbaren die vielen Falten und der weiße Bart sein bereits fortgeschrittenes Alter. Seine mächtigen schwarzen Flügel umfangen ein junges Mädchen mit verklärtem Blick und einer Haut wie Porzellan. Der Blick des Betrachters ist frontal auf sie gerichtet, während die geflügelte Figur hinter ihr das blaue Kleid abstreift. In seine schwarzen Flügel gehüllt scheint es, als ob er mit ihr davonfliegen wird. Ihr Blick ist himmelwärts gerichtet. Ihr Wesen wirkt bereits wie davongetragen. Gleichzeitig trägt sie den Lorbeerkranz, das Zeichen der Sieger.Diese Figurenkonstellation bedarf einer kunsthistorischen Erklärung, denn die Darstellung der schönen Frau, die von dem alternden Mann mit Sense und Flügeln geraubt wird, ist ikonografisch bedeutsam:
In dem Mann erkennen wir Chronos, den Gott der Zeit. Die Frau ist die Allegorie der Schönheit und im Zusammenspiel der beiden zeigt sich, dass Schönheit eine Freude von temporärer Vergänglichkeit ist.
Der Künstler kann sich bei seiner Darstellung auf vergleichbare Werke stützen, etwa "Die Zeit raubt die Schönheit" und "Die Zeit enthüllt die Wahrheit", ein Gemäldepaar von Giovanni Domenico Cerrini aus den 1670er-Jahren, das einst von Landgraf Wilhelm VIII. in Kassel erworben wurde.
Möglicherweise hat der Maler Glaeser die Gemälde in Kassel gesehen und sich von ihnen inspirieren lassen, denn der Bildaufbau weist Ähnlichkeiten auf. Doch damit ist die Komposition noch nicht vollständig erfasst. Glaeser hat die Szenerie mit weiteren Elementen versehen.
Neben dem Mädchen unter einer Staffelei befinden sich verschiedene Gegenstände: Ein geöffnetes Holzkästchen, auf dem eine Palette mit Pinseln und ein weißer Lappen liegen, dazwischen ein Spiegel. Hierdurch verknüpft Glaeser geschickt das Schönheits- und Vanitasmotiv mit der Malerei, die ja gerade durch ihre bildliche Fixierung der Vergänglichkeit entgegenwirken möchte. Auf der Staffelei mit der Leinwand sind schwache weiße Konturlinien zu erkennen, die eine ebenfalls allegorische Szene darstellen. Justitia thront auf einem Podest und trägt in ihrer Rechten die Waagschale, während sie sich auf einen Schild stützt. Darunter ist Spes, die Verkörperung der Hoffnung, mit einem Anker als Attribut zu sehen. Dazwischen verweist ein Löwe mit Krone als Wappen auf das Haus Hessen.
Ein Affe sitzt auf Chronos' Schulter und hat eine Fackel mit der Inschrift „Paris“ entzündet. Funken, Flammen und Rauch steigen auf. Der Schriftzug verweist auf die Figur des Paris aus der griechischen Mythologie, der dafür bekannt war, das Urteil zu fällen, welche der Göttinnen die schönste ist: Hera, Athene oder Aphrodite. In der Kunstgeschichte ist der Affe mit verschiedenen Konnotationen belegt. Er steht für Eitelkeit, für das Dämonische, die Triebe im Menschen, aber auch für das Närrische. In unserem Fall ist der Affe Initiator des Verlaufs der Dramaturgie. Mit dem Öffnen der Fackelbüchse hat er das Feuer entzündet, das aus Eitelkeit Unheil hervorbringt. Da Glaeser in dieser Allegorie der Vergänglichkeit die Malerei hineinwebt, könnte auch folgende, doppelte Bedeutung eine Rolle spielen: Liest man "Paris" nicht als Sohn Trojas, sondern als Städtenamen der Kulturhauptstadt des 19. Jahrhunderts schlechthin, so könnte sich hiermit auch eine Kritik am französischen Kulturbetrieb der Zeit festmachen lassen. Es wäre dann alles Schall und Rauch und genauso kurzlebig wie die Schönheit selbst.
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