Produktinformationen "Griechische Landschaft mit Odysseus und Nausikaa"
Ein Jahr nach seiner Rückkehr aus Rom, 1867, malte der in Berlin bei August Wilhelm Schirmer und in Dresden bei Ludwig Richter ausgebildete Heinrich Gärtner zwei kleine Gemälde mit homerischen Stoffen – das Parisurteil hat jene Szene aus der Ilias zur Grundlage (Ilias 24, 28-30), in der der Jüngling Paris, der verstoßene Sohn des Trojanerkönigs Priamos, entscheiden soll, wer die schönste der drei Göttinnen ist: Aphrodite, Athene oder Hera. Sie waren zur Hochzeit von Peleus und Thetis auf dem Olymp zusammengekommen, auf der sie sich um den goldenen Apfel zankten, den die nicht eingeladene, deswegen beleidigte Göttin der Zwietracht Eris mit der Aufschrift „Für die Schönste“ unter die feiernden Götter geworfen hatte. Aphrodite gewann den Wettstreit, indem sie Paris die Liebe der schönsten Frau der Welt anbot – die schönste Sterbliche war damals Helena, die jedoch mit dem Spartakönig Menelaos verheiratet war. Ihr Raub, der zur Einlösung des Versprechens nötig war, löste den Trojanischen Krieg aus.
Auf dem anderen Gemälde schildert Gärtner eine Episode aus Homers Odyssee (Odyssee 6, 7), in der die phaiakische Königstochter Nausikaa einen schlafenden Schiffbrüchigen entdeckt. Sie geleitet ihn zum Hof ihres Vaters Alkinoos, der ein Gastmahl gibt, auf dem der Fremde sich als Odysseus zu erkennen gibt und von seinen Irrfahrten berichtet. Die Liebe, die in Nausikaa aufkeimt, erwidert Odysseus jedoch nicht, und lässt sich stattdessen von den Phaiaken in seine Heimat Ithaka bringen.
Beide Szenen versetzt Gärtner in südlich anmutende Landschaften, die italienische Gegenden spiegeln, die er ähnlich während seines zehnjährigen Aufenthalts in Rom gesehen hatte: Das Parisurteil ruft bergige Küstenlandschaften Süditaliens in Erinnerung; für die Begegnung Nausikaas mit Odysseus dürfte dagegen die Golfregion um Neapel anregend gewesen sein. Auch wenn beide Gemälde historische Stoffe wiedergeben, gehören sie unbedingt dem Bereich der Landschaftsmalerei an, denn sie folgen den Konventionen der sogenannten „Historischen Landschaft“, die sich auf die Tradition Poussins und Lorrains bezieht. Dieses Erbe hatte um 1800 in Rom Joseph Anton Koch erneuert und im Sinne des Klassizismus interpretiert; seine Gemälde hatte Gärtner in Rom kennengelernt und in der Folge dort den Wandel von einer poetisch-idyllischen zu einer heroisch-historischen Malerei vollzogen. Auf dem Parisurteil, zu dessen Figurengruppe sich eine Vorzeichnung in Dresden befindet, ist die panoramaartig ausgebreitete Landschaft in ein Grün getaucht, das sich von Tiefgrün im Vordergrund bis zu einem sanften Grün im Hintergrund wandelt, wo es vom Licht der untergehenden Sonne aufgesogen wird. Die dargebotene Landschaft ist ausgesprochen abwechslungsreich – eine Schlucht, aus der das Blau eines Wasserfalls hervorleuchtet, führt zur Küste, wo sich in der Ferne ein Bergmassiv auftürmt; rechts leuchtet ein See in tiefem Blau heraus, das sich dahinter über eine Ebene erstreckt. Es ist eine imaginäre Landschaft, deren ausgewogener Farbklang in der Kombination pastoser Licht- und Farbwerte jene atmosphärische Stimmung hervorruft, die voller Erhabenheit und poetischer Anmut ist. Gärtner strebt eine dichterische Gesamtwirkung der Landschaft an, in der topografische Authentizität kaum eine Rolle spielt – die Idealität der Landschaft, in der sich Natur und Menschheitsgeschichte zusammenschließen, war Gärtners Anliegen. Auf seine Landschaften trifft ähnlich zu, was ein Rezensent anlässlich einer Ausstellung von Friedrich Preller im Frühjahr 1857 in Dresden bemerkte, der dort kartongroße Kopien nach seinen Odyssee-Gemälden aus dem Römischen Haus des Leipziger Verlegers Hermann Härtel ausgestellt hatte: In ihnen sei „alles aus der lebendigsten Naturwirklichkeit herausgeschaut und durchgebildet; und doch ist das Ganze von so wahrhaft klassischer Idealität, daß die große Formenwelt des südlichen Naturlebens wie die einfache Hoheit der alten Sagengestalten zu eben so anschaulicher wie großartig dichterischer Darstellung gekommen sind.“
Friedrich Preller hatte das Erbe Kochs in Deutschland weitergeführt und noch zu dessen Lebzeiten Mitte der 1830er Jahre in Härtels Haus einen Zyklus mit Szenen aus Homers Odyssee gemalt und eine erneute Beschäftigung mit dem antiken Stoff ergab sich für ihn im Herbst 1855, als er zusammen mit seinem Sohn Kopien nach diesen Gemälden anfertigte, die er im Frühjahr 1857 in Dresden ausstellte. Prellers homerische Landschaften wurden nicht als Nachzügler eines längst überholten Klassizismus verstanden, sondern als Zeugnis einer Erneuerung der Landschaftsmalerei wahrgenommen, in der sich die Fortsetzung und Vervollkommnung der um 1800 von Koch und Johann Christian Reinhart entwickelten Ansätze manifestieren – das idealistische Landschaftskonzept hatte sich gegen den aufkommenden Realismus und Naturalismus zu behaupten und fand in den Werken Prellers und Gärtners sinngemäßen Ausdruck.
Deshalb ließe sich auf Gärtner auch übertragen, was Wilhelm Lübke an Prellers Kartons ausdrücklich lobte – dass dort nämlich „die Gestalten der handelnden Personen als bedeutende Staffage mit der Landschaft verwebt [sind], und auch hier mit so tief innerlicher Uebereinstimmung des Landschaftlichen und Figürlichen, daß das Eine von dem Anderen unzertrennlich erscheint.“ Es ist dieses idealistische Landschaftskonzept, in dem sich Natur und Geschichte miteinander verbinden, das Preller zu einem der erfolgreichsten Landschaftsmaler in der zweiten Jahrhunderthälfte machte. Dieser hatte 1859/60 zusammen mit seiner Familie extra noch einmal Italien und die Küsten Capris und Süditaliens besucht, um die dortigen homerischen Landschaften auf sich wirken zu lassen und seiner Beschäftigung mit der Odyssee neuerliche Authentizität zu verleihen – nach seiner Rückkehr nach Weimar schuf Preller bis 1863 sechzehn großformatige, heute verlorene Kartons zu Odysseelandschaften, die er in den folgenden Jahren als Wachsgemälde für das neuerrichtete Großherzogliche Museum in Weimar zu einer Zeit ausführte, als auch Gärtner an seinen homerischen Landschaften arbeitete.
Ob Gärtner bereits damals um 1860 Preller in Rom kennengelernt hat, ist möglich, lässt sich bisher aber nicht belegen, doch dürfte Gärtners Anschluss an das idealistische Landschaftskonzept in der Nachfolge Kochs auch wesentlich durch den Leipziger Verleger Alphons Dürr angeregt worden sein, den Gärtner 1863 in Rom kennengelernt hatte und dem er nach seiner Rückkehr nach Deutschland zahlreiche Aufträge verdankte. Dürr war auch mit Preller gut bekannt – Dürr veröffentlichte u. a. Prellers Odysseelandschaften in einer aufwendig gestalteten Publikation mit Erläuterungen des damaligen Direktors der Berliner Nationalgalerie Max Jordan -, und Briefe Prellers an Dürr aus den Jahren 1865 und 1866 belegen, dass Preller auch mit Gärtner gut bekannt gewesen sein muss und über dessen Arbeiten informiert war. In diesem künstlerischen Milieu der Erneuerung des idealistischen Landschaftskonzepts sind Gärtners homerische Landschaften zu verorten.