Produktinformationen "Kiefern auf den Ostseedünen"
Vielleicht spricht uns dieses Aquarell heute, da Malerei und Skulptur den ideologisch befrachteten Gegensatz von Abstraktion und Realismus hinter sich gelassen haben, in besonderer Weise an. Dann vermögen wir eine Bildfläche zu erblicken, die durch schmale und breite senkrechte Streifen in der synkopischen Verschränkung 2-4, 3-5 rhythmisiert wird. Spielerisch durchbrochen wird das Ordnungsprinzip durch die Verdickung des zentralen, breiten Streifens nach unten hin und einen dahinterliegenden, schrägen Streifen, der überwiegend verdeckt wird. Erst sekundär ästhetisch wirksam werden dürften also die detaillierten organischen Formen und Texturen. Sie bringen den lebendigen Natureindruck einer Landschaft hervor, welche vom rötlichen Licht der tiefstehenden Sonne durchglüht wird. Dabei gewährleistet schon der Kontrast zwischen den als Stimmungsträger fungierenden Orangetönen und dem nüchternen Hellblau des Himmels die erstaunliche Leichtigkeit und Frische dieses Aquarells. Doch vor allem das im Buschwerk, den Schösslingen, den Baumkronen und an der Rinde zu findende Grün lenkt die Aufmerksamkeit auf eine weitere Ebene. Das Aquarell ist auf wenige Farbkomponenten reduziert, die vor allem in ihren Helligkeitswerten variiert werden. Der Ort, an dem sich Rot, Blau und Grün durchdringen, erstreckt sich zwischen Himmel und Erde: es sind die Kiefern, deren Rinde sich mit der Helle des Sonnenlichts verbindet und die nicht nur das Grün ihrer Nadeln und des Mooses, sondern selbst in den Schuppen der Rinde als impressionistische Schattenfarbe das Blau des Himmels enthalten. In der Tat sind Bäume allen Sphären angehörenden Vermittler zwischen Erde, Sonne und Himmel. Ähnlich nahe wie das Aquarell kommt dieser Erkenntnis ein Gemälde Oswald Achenbachs, das die flammenden Pinien als Farb- und Naturereignis auffasst (Vgl.-Abb.). Unsere einen steilen Hang bewachsenden Kiefern sind freilich auch den destruktiven Naturkräften der Ostseedünen ausgesetzt, welche wohl die Lichtung im Hintergrund geschaffen haben. Als Spur menschlichen Eingreifens hingegen bietet sich der Baumstumpf in vorderster Bildebene an, der von Schösslingen flankiert wird. Diese bei Caspar David Friedrich mit politischen und religiösen Sinnbezügen präsente Verbindung von Tod und neuem Leben verweist auf das Erbe der Romantik bei dem Dresdener Maler und Graphiker Ernst Erwin Oehme. Gerade mit der Waldthematik, die er etwa auch auf Reisen in den Bayerischen Wald und nach Böhmen verfolgte, nahm der von Ludwig Richter ausgebildete Künstler ein typisch romantisches Sujet auf. Das Prägende der jeweiligen Landschaft erfasste er hierbei in nahsichtigen Einzelheiten der Vegetation, wie in unserem Beispiel der sehr naturnah wirkenden Kiefern mit ihrem charakteristischen Rindenprofil und zahlreichen Stümpfen abgestoßener Äste. Gegen eine symbolische Aufladung spricht die Anmutung eines zufälligen, nicht komponierten Wirklichkeitsausschnitts, die sich dem zentralen, den Vordergrund versperrenden und vom Bildausschnitt fragmentierten Stamm verdankt. Damit entfernt sich Oehme weiter als in anderen Aquarellen von der pittoresken Bildwelt vieler seiner Gemälde und Illustrationen. 1887 erhielt er eine lebenslange Professur für freies Landschaftszeichnen und -malen am Polytechnikum Dresden (dort studierten ab 1901 Bleyl und Kirchner sowie ab 1905 Heckel und Schmidt-Rottluff Architektur), während in der Kunstakademie noch 1883, wie Hans Joachim Neidhardt hervorhebt, Reproduktionen von Cornelius' Kartons für die Münchner Glyptothek beschafft wurden, um die künstlerische Phantasie der Studierenden anzuregen. Insofern dürften von Oehmes Aquarellen, die auch als Lehrmaterial dienten, wichtige Impulse für die Dresdener Kunst ausgegangen sein. |up|