Produktinformationen "Kopfstudie zum Fresko 'Die Himmelfahrt Christi'"
In einer Lithographie zum Salon von 1840 zeigt Honoré Daumier seine Version einer Himmelfahrt Christi, auch wenn er sie als Reproduktion einer Bildidee eines gewissen "Brrdhkmann" ausgibt.1 Hier sehen wir nur drei Bildgegenstände: unten die Speerspitzen der Soldaten, oben die Füße und den Mantel Christi und dazwischen nur die leeren Wolken. Auch wenn man dieses Blatt als Angriff auf die traditionelle Malerei der Akademie gelesen hat, so trifft Daumier gleichzeitig die Probleme bei der Darstellung der Himmelfahrt in der bildenden Kunst genau. Denn eigentlich geht es in diesen Darstellungen weniger um den Vorgang des Aufsteigens, als um die zurückbleibende Leerstelle. Wenn es im Brief des Paulus an die Philipper heißt: "er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist"2, dann verdeutlicht dies die hierarchische Distanz, die Trennung der Welten. Der Mensch bleibt in seiner Erniedrigung zurück. Der Blick nach oben, dem Aufsteigenden hinterher, ist ein der Welt abgewandter Blick. Doch was er sieht, ist das Entschwinden und die Leere, die zurückbleibt. In der bildenden Kunst findet sich das Motiv des Aufblickens meist in der Apostelgruppe, die Christus nachschaut, doch Oesterley scheint sich mit seiner Version der Himmelfahrt an einem anderen Typus zu orientieren, der die Trennung weiter verdeutlicht, wenn in ihm Christus nicht nach unten auf die Menschen zurückschaut, sondern selbst nach oben auf das Himmelsreich. Dieses Entschwinden kann im Bild soweit gesteigert werden, dass nur noch die Füße von Christus zu sehen sind.3 Das Gefühl der Unüberbrückbarkeit, die verschließende Leere wird so noch stärker Thema dieser Bildkonstellation. Oesterley mag die Inspiration für diese Kompositionsform4 bei Rembrandt erhalten haben, der in seinem Münchner Passionszyklus den in der Renaissance und im Barock seltener dargestellten, nach oben blickenden Christus zeigt. Allerdings reduziert Oesterley den emphatisch verklärten Gesichtsausdruck mit dem geöffneten Mund in Rembrandts Bild zu einem eher gespannt erwartenden, stärker dem Menschsein verbundenen Ausdruck.5
Was sich in den Augen dieses Christus spiegelt, ist damit sowohl ein bewusstes Verlassen der irdischen Welt, aber auch die Erwartung auf den neuen Platz an der Seite seines Vaters. Die ungeheure Intensität, die Oesterley in diese Reduktion auf den Blick legt, ist tief ergreifend. Die Isolation des Studienkopfes von jeglichem narrativen Beiwerk verstärkt die Emotion. Das Thema des Verlustes mit dem bevorstehenden Neuanfang wird ins Absolute gesteigert. Es scheint, als schimmere der Reflex des göttlichen Lichtes auf dem Gesicht. Dies rührt umso mehr, als Oesterley es durch eine meisterhafte Malkunst versteht, das Gesicht so plastisch, so lebendig auf die Leinwand zu bannen, dass wir die Anwesenheit der Person förmlich zu spüren meinen und so Teil des emotionalen Augenblickes werden. Damit wird das Wunder der Himmelfahrt wieder irdisch und greifbar, wird Christus wieder menschlich und hält so den Kontakt zu den Zurückgebliebenen.
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1 Honoré Daumier, Ascension de Jésus-Christ. D’après le Tableau original de M. Brrdhkmann, Lithographie, 1840, Delteil 794.
2 Paulus' Brief an die Philipper, Kapitel 2, 8-9.
3 Außer in mittelalterlichen Buchmalereien findet man diesen Typus unter anderem auch bei Albrecht Dürer im Blatt 34 seiner kleinen Holzschnittpassion von 1511. Daumier beruft sich in seiner Bildfindung also auf eine vor-akademische Bildtradition.
4 Oesterley schuf diese Arbeit als Vorbereitung für die Ausführung des großen Freskos in der Schlosskapelle in Hannover, das er seit 1836 vorbereitete und 1838 vollendete. Vgl. Senf 1957, S. 22 und 156, Nr. 44-47.
5 Rembrandt Harmensz. van Rijn, Die Himmelfahrt Christi, 1636, München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek, Inv. Nr. 398. Oesterley mag dieses Gemälde auf seiner Reise durch München gesehen haben, wo es sich seit 1806 befindet.