Produktinformationen "Küste bei Capri"
„Keine der Inseln, welche wir auf dieser Reise sahen, hat ein so wildes Aussehen wie Capri, deren Ufer und Gipfel schroff, felsig und gezackt sind“, notierte Friedrich Leopold Graf zu Stolberg 1792 auf seiner Reise durch Deutschland, die Schweiz und Italien , und der Weimarer Maler Friedrich Preller, der Capri im Sommer 1860 zusammen mit seiner Familie besucht hatte, vertraute am 12. Juli seinem Tagebuch an: „Obgleich Capri fast nur aus öden Felsen besteht, ist doch der Wechsel von Formen und deren Zusammenstellung so mannigfaltig, dass der Gedanke von Einförmigkeit nicht aufkommt.“ 1792, als Graf Stolberg Capri besuchte, rückte die im Golf von Neapel gelegene, heute beliebte Urlaubsinsel Capri erst langsam ins Bewusstsein der reisenden Künstler – das hatte sich bis 1860, als Preller kam, grundlegend geändert: Vor allem die Entdeckung der Blauen Grotte, der Grotta Azzurra, jener Verkörperung der Romantik schlechthin, durch den Autor August Kopisch und den Maler Ernst Fries 1828 hatte Capri auf die Liste der Orte katapultiert, die man als Künstler aufsuchen musste. Zuvor hatte bereits 1818 der geschäftstüchtige Wirt Don Michele Pagano seine berühmte Locanda eröffnet, in der nahezu alle Maler und Schriftsteller bis ins ausgehende 19. Jahrhundert Unterkunft fanden. Sie kamen, um die Grotta Azzurra zu sehen und zu malen, die mächtigen, torartigen Felsen der Faraglioni zu schildern oder das damals gemächliche Treiben auf Capri zu beobachten.Unser Maler dagegen hat kein Interesse an den genannten Sehenswürdigkeiten, er wirft den Blick von den felsigen Gestaden Capris über das Meer auf den sich im fernen Dunst erhebenden Vesuv. Seine sanft an- und absteigende Silhouette steht im Gegensatz zu den schroffen, bizarren Felsformationen im Vordergrund; er bildet gleichsam nur noch die topografische Folie, die der Darstellung Authentizität verleiht, doch das malerische Interesse richtet sich auf die nahsichtig gegebenen „öden“ Felsen, die direkt an der Küste aus dem Wasser emporzuwachsen scheinen. Mit großem Gespür für das Spiel des Wassers auf den Felsen, von Licht und Schatten folgt der Maler den Felsen, unterzieht sie einer malerischen Autopsie, geht ihrer Anatomie in Licht und Farbe in einer Weise nach, die an Prellers Worte erinnert – dass die Felsen in Form, Farbe und Licht eine solche Vielfalt bieten, dass keine Einförmigkeit entstehen kann. Es ist ein „großes“, karges Gebirge im Kleinen, das der Vegetation nur geringen Raum lässt: Nur mühsam behauptet sie sich in niedrigem Wuchs auf und zwischen den Felsen, die im Licht der Sonne in vielfältigen Braun- und Ockertönen erstrahlen.
Die malerisch reizvolle Ölstudie sucht noch ihren Maler – sie ist unten links mit „DM“ monogrammiert und offensichtlich im Juni 1852 entstanden, doch ist es bisher nicht gelungen, den Maler namhaft zu machen. Das Nebeneinander von nah und fern, von Detailreichtum in der Nähe und atmosphärischem Aufscheinen in der Ferne, ist noch romantisches Erbe, doch ist es nicht mehr der Blick eines Romantikers. Unser Maler gehört einer neuen, bereits der realistischen, unmittelbaren Naturbeobachtung verpflichteten Generation an – die Ölstudie erinnert an die Klage des Frankfurters Carl Morgenstern, der 1835 anlässlich seines Besuchs auf Capri anmerkte, es sei hier sehr schwer, „einen Vordergrund, der etwas hinauf geht, zu componieren“. Man sei „tief am Meere, so ist der Horizont immer hart geschnitten, weil wir den Teil von unserem Horizont bis zu den entfernten Gebirgen nicht sehen (natürlich).“ Es mag scheinen, dass unser Maler diesem Problem begegnete, indem er seine Ölstudie als Nah- und Fernbild gestaltete, doch ist auch sie keine Komposition; die eng gefasste Ansicht ist ein Ausschnitt, der tatsächlich Verwandtschaft mit ähnlich nahsichtig aufgefassten Studien Morgensterns zeigt. So wären etwa seine 1835 in Terracina entstandenen Felsenstudien zu nennen , weshalb es gut möglich ist, dass der Maler unserer Ölstudie aus seinem weiteren Umkreis stammt bzw. von diesem angeregt ist.