Produktinformationen "Porträt des Leipziger Advokaten Johann Friedrich Pudor"
Dass bei aller Individualität und Charakteristik das bürgerliche Bildnis nicht frei von Repräsentation war, zeigt auch das Beispiel des gebürtigen Dresdners Gustav Adolph Hennig (1797–1869), dessen Weg als Porträtist vorgezeichnet war, als er in die Lehre zu Christian Leberecht Vogel (1759–1816) kam, einem damals in Dresden geschätzten Bildnismaler. Hennig hatte sich früh auf das Bildnisfach festgelegt, mit dem er nach seiner Lehrzeit bei Vogel und an der Dresdner Akademie in verschiedenen Städten, u. a. 1816 bis 1821 in Leipzig, erfolgreich war. Bei unserem Gemälde soll es sich nach älterer Überlieferung um ein Bildnis des Leipziger Advokaten Johann Friedrich Pudor handeln, was sich angesichts fehlender weiterer Bildnisse allerdings nicht belegen lässt, doch glaubhaft sein dürfte. Der Dargestellte strahlt eine Ernsthaftigkeit aus, die einem Advokaten angemessen scheint. Dabei hält sich Hennig an die Konventionen des Porträts: Der Dargestellte sitzt schräg in einem Stuhl vor einer dunklen, graugrünen Wand – möglicherweise eine Wandbespannung, deren Ansatz an der rechts sichtbaren Holzvertäfelung aufscheint – in schwarzem Mantel, darunter drängen eine lindgrüne Weste und ein weißes Hemd hervor. In seiner kräftigen Linken hält er einen olivgrünen Handschuh, sodass dem Bildnis ein ganz eigener Farbrhythmus innewohnt. Der Kopf ist nach links gedreht, das kantige, markant modellierte Gesicht ist fast frontal, leicht von rechts gegeben; den Mund zu schmalen Lippen fest geschlossen, ist es energisch zusammengefasst, doch trägt es bereits erste Spuren des Alters – ein leichtes Doppelkinn, der Teint leicht rosig, nachlassende Spannkraft der Haut und verdeckte Geheimratsecken deuten auf einen nicht mehr ganz jungen Mann, der eine selbstgewisse, würdevolle Distanziertheit vor sich her trägt. Sein Blick geht ins Leere, nicht mit dem Betrachter agierend – dies überlässt Hennig der Hand, die mit dem Handschuh plastisch hervortritt. Man wird ihr gewahr und erst in diesem Moment fällt auf, dass seine andere Hand fehlt, bemerkt man erst jetzt eine braune Decke, die sich vom Schwarz des Mantels kaum abhebt. Sie scheint die Armlehne zu verbergen und verbirgt sich darunter auch sein Arm, der nicht gezeigt werden kann, weil er beeinträchtigt ist, weil er verletzt ist? Wir wissen es nicht, doch bringt dieses anekdotische, rätselhaft bleibende Element Bewegung, die das ansonsten eher statische Bildnis emotional belebt. Dies alles erzählt Hennig mit großer malerischer Souveränität – die Gestalt des Dargestellten hebt sich kontrastreich von dem unbestimmten, wie unvollendet wirkenden Hintergrund in einer Weise ab, die dem Dargestellten statuarischen Ernst verleiht. Das Gesicht, die Haare, auch die Weste und das Hemd, nicht zuletzt die Hand mit dem Handschuh sind von ungewöhnlich plastisch-haptischer Präsenz und malerischer Sensibilität. In dem edlen Farbklang aus Lindgrün, Weiß und Schwarzbraun schuf Hennig ein Bildnis, in dem charakteristische Individualität und standesgemäße Repräsentation einander begegnen. Das Bildnis ist unten links mit den Initialen Hennigs monogrammiert und auf 1826 datiert, also zu einer Zeit entstanden, als Hennig gerade von einem vierjährigen Aufenthalt in Italien zurückgekehrt war. Dort hatte er Umgang mit Ludwig Richter und Ernst Ferdinand Oehme, wohnte im gleichen Haus wie Joseph Anton Koch, doch galt sein Interesse nicht der Landschaft; vielmehr hatte er sich dort dem römischen Kreis um Friedrich Overbeck und den Nazarenern angeschlossen, deren Ernsthaftigkeit er sich auch später in seinen Bildnissen bewahrte. In seinem Nekrolog hieß es, dass er »den ersten, gewissenhaften Sinn für die Form, das unermüdliche Versenken in alle Einzelheiten und die treuherzige Auffassung der Natur aus dieser Schule« mitgenommen hätte. Dieses nazarenische Ideal hat sich Hennig nach seiner Rückkehr bewahrt, wo er vor allem in Leipzig mit Bildnissen aus dem Bürgertum hervortrat.