Ölskizze
„en plein air“
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Über die Ölskizze im 19. Jahrhundert
Die eigenständige Ölskizze ist in der Welt der Kunst ein relativ junges Phänomen, vergleichbar mit der Photographie. Zwar gab es zu allen Zeiten Ölskizzen als vorbereitendes Material für große Ölgemälde, aber in dieser dienenden Funktion hatten sie keinen eigenen künstlerischen Wert. Anders aber die Ölskizze, die um ihrer selbst willen entsteht. Ihr liegt das Bestreben zugrunde, die zeitraubenden technischen Aspekte der Ölmalerei im Atelier zu umgehen und gleichzeitig aus diesem zu entfliehen. Nicht mehr Modelle, Puppen oder Requisiten sollten die Inspiration sein, sondern die Natur selbst, wie sie sich dem Maler zeigt. Schon bei Gotthold Ephraim Lessing kündigt sich diese Unzufriedenheit mit der Malerei an, wenn er seinen Maler Conti in Emilia Galotti sagen lässt: „Ha! Daß wir nicht unmittelbar mit den Augen malen! Auf dem langen Wege, aus dem Auge durch den Arm in den Pinsel, wie viel geht da verloren!“
Mit diesem Gefühl einher geht eine Aufwertung der Landschaftsmalerei. Galt sie in der klassischen Hierarchielehre der verschiedenen Künste noch als wenig bedeutend, änderte sich spätestens zur Mitte des 18. Jahrhunderts ihre Position. Korrespondierend mit der unaufhaltsamen Erforschung der Natur und ihrer Gesetze wurde sie auch von Künstlern anders gesehen und als Kunstobjekt interessant. Die Natur aber ließ sich nicht ins Atelier mitnehmen und so waren die Künstler gezwungen, neue Malmethoden zu erproben, um sich der Natur zu nähern. Dies war die Geburtsstunde der Ölskizze in freier Natur. Anfangs zu privaten Zwecken gefertigt, erkennt man in ihnen heute einen Kernaspekt der modernen Kunst: den individuellen Ausdruck künstlerischer Inspiration. In diesem Aspekt liegt auch der Siegeszug der Ölskizze in Ausstellungen und auf dem Kunstmarkt seit den 1980er Jahren begründet.

„Als ob diese Farbe von sich selber her denke“ – Über die Kunst, Landschaften in der Ölskizze neu zu sehen

„Als ich eines Tages so in meine Arbeit vertieft dasaß, machte ein kleines Geräusch mich aufsehen, und zu meinem nicht geringen Erstaunen erblickte ich drei kleine Hausthüren, ordentlich auf Menschenfüßen den Berg hinabwandelnd. Ich erinnerte mich, daß ich eine komische Beschreibung von den riesengroßen Malkasten einiger französischer Maler gehört hatte, die seit mehreren Tagen in der Sibylle einquartirt waren. Diese Riesenkasten, auf die Rücken von Jungen geschnallt, welche dadurch bis auf die Füße bedeckt wurden, waren es, die hier vorbeizogen, und bald folgten ihnen auch die Inhaber.“
In der Kritik an der ‚französischen Manier’, die Ludwig Richter hier in seinen Lebenserinnerungen überliefert, gibt er uns gleichsam ‚ex negativo’ eine Beschreibung der Charakteristika der Landschaftsölskizze, wie sie von den Franzosen, allen voran von Jean-Baptiste-Camille Corot in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts praktiziert wurde. Selbst ein mit chirurgischer Genauigkeit dem Abbild der Natur Nachspürender, stand Ludwig Richter zu dieser Zeit den schon länger in Rom weilenden Nazarenern um Friedrich Overbeck nahe, die die Wahrheit der göttlichen Schöpfung durch die Reinheit ihrer Linien nachzuempfinden suchten. „Treu wie im Spiegel“ sollte die Zeichnung sein, da sie der Natur als Meisterin zu huldigen hatte. Die Reduktion auf den spitzen Bleistift und das kleine Blatt Papier kam dabei der klösterlichen Askese der mönchisch lebenden Nazarener-Bruderschaft entgegen. Ganz anders dagegen die Franzosen, die bei Richter durch die Größe ihrer Malkästen, ihre Massen an Farben und ihre Unmengen an verbrauchtem Malstoff zu maßlosen, dem Material huldigenden Grotesken verkommen. Die negative Konnotation ist unüberhörbar. Einziges Ziel dieser „Quantitäten von Farbe“ war der „Effect“, die kurzweilige, von sich selbst überzeugte Anschauung von ephemeren Phänomenen, die weder Dauer noch Gültigkeit in den Augen Richters und der Nazarener hatten. Die Franzosen malten um des Effektes willen und die Deutschen zeichneten um der Wahrheit willen.

So könnte man Richters Aussage auf eine kurze, selbstverständlich verflachende Formel bringen, die beiden Seiten Unrecht tut. Doch was für Richter noch einen verachtungswürdigen Egozentrismus in die Kunst brachte, das ist für den heutigen Betrachter, der die Tragweite dieser Loslösung vom sklavischen Abbilden überblickt, der Grundstein für eine Kunst, die sich bewusst mit den Problemen und Möglichkeiten ihres eigenen Mediums auseinandersetzt. In dem Moment, in dem der Künstler nicht mehr dem Objekt dient, das er vor sich findet, sondern erkennt, dass das Objekt erst durch den Filter der eigenen, höchst subjektiven Wahrnehmung Gestalt annimmt, da wird der Künstler selbst zum Schöpfer einer neuen, zweiten Natur. Diese zweite Natur ist das Resultat des Abstraktionsprozesses, den jede Anschauung dem Objekt auferlegt. Dass die scharfe Linie der Nazarener und Ludwig Richters natürlich ebenso ein gewaltiger Abstraktionsprozess ist, das sei hier nur am Rande erwähnt, um nicht den Eindruck zu erwecken, es gehe hier um ein Richtig oder Falsch in der Kunst des frühen 19. Jahrhunderts. Beides, sowohl der überscharfe Blick und die schneidende Linie als auch die aus einiger Entfernung gewonnene emotionale Überschau der subjektiven Empfindung, die sich im pastosen und breiten Pinselstrich als Emanation der überwältigenden, nur schemenhaft greifbaren eigenen Bewusstseinsempfindung äußert, sind Abstraktionen höchsten Grades.
Halb verrückt

So hielt ein jeder den anderen für „mezzo matti“ - halb verrückt. In einer künstlerischen Auffassung von Natur, bei der man sich in jeden Grashalm verliebt und der Bleistift nicht spitz genug sein kann, ist eine Konzentration auf die zusammenfassende Interpretation eines Farbklanges oder auf die Tageszeiten und die von der Wettersituation abhängige Lichtwirkung undenkbar. Gerade das Gegenteil, der ewig wahre Urgrund der göttlichen Schöpfung sollte aufgedeckt werden. Da passte ein Skizzieren in Öl, bei dem die Einzelheiten und genauen Konturen der Gegenstände zugunsten der Gesamtwirkung geopfert und der beliebigen Ergänzung durch die Vorstellungskraft des Betrachters preisgegeben wurden, nicht ins Bild. Mag die Linie auch fein und zart sein, sie steht als massive Grenze zwischen dem Kunstwerk und der Betrachterphantasie. Und wenn Charles Baudelaire Corots Arbeiten noch 1845 gegen den Vorwurf der Unfertigkeit verteidigen muss, dann zeigt sich daran, dass Richter mit seiner klaren und klärenden Linie nicht alleine stand. Die Ölskizze ist eine der Sinneswahrnehmung verpflichtete Anschauung der Natur, die vom Betrachter ein Nachempfinden des subjektiven Standpunktes des Künstlers erwartet und dies schließt auch mit ein, dass man den Betrachter nicht vor vollendete Tatsachen stellt. Das hauptsächliche Augenmerk liegt auf der Wiedergabe des Ephemeren, also von Licht und der daraus resultierenden Farbwirkung einer Landschaft, der momentanen Naturstimmung. Wie im Formspiel der Wolken die Veränderung der einzig konstante Bestandteil ist, so ist auch bei der Ölskizze der flüchtige Charakter Bedingung für die Integration des Betrachters in das Bild. Als Ludwig Richter in der eingangs zitierten Textstelle, retrospektiv niedergeschrieben in den 1870er Jahren, gegen die Ölskizzen der Franzosen wetterte, da war das Ringen um das Fortschreiten der Kunst schon entschieden. Der Impressionismus hatte längst seinen unaufhaltsamen Marsch an die Spitze der Kunst begonnen. Eine Kunst also, die so viel der Erscheinung verdankt, die sich immer nur dem individuellen Subjekt zu erkennen gibt. Doch bereits zu Richters Zeit in Rom war die Bedeutung der landschaftlichen Skizze in Öl wesentlich größer als dies sein Text zu vermitteln versucht.

Der Franzose Pierre-Henri de Valenciennes trug wesentlich zur Entwicklung der landschaftlichen Ölskizze bei. Er wandte sich in seiner Abhandlung über die Perspektive mit praktischen Ratschlägen an den angehenden Landschaftsmaler und legte darin bei der Ausbildung besonderen Wert auf die Skizze. Als Künstler gilt er als einer der wichtigsten Exponenten der paysage historique, jener heroischen Landschaftsauffassung, die ihr Ziel im Ideal einer Natur sieht, das über die gegebene Natur selbst steigt. In seinem Werk stehen seine Ölskizzen gesondert von seinem offiziellen Werk und sind grundsätzlich von privatem Charakter. Im Öffentlichen also der Anspruch an die Ewigkeit des Ideals, im Privaten aber der wissenschaftliche Anspruch, der den Phänomenen der Natur mit seinen spezifischen Mitteln nachzuspüren sucht. Maximal zwei Stunden für eine ‚plein air’-Studie, eine halbe nur, wenn es sich um Sonnenauf- oder untergänge handelt, gesteht er sich und seinen Schülern zu. Da bleibt wenig Zeit für die Ewigkeit.
Auf Valenciennes’ Initiative hin wurde im Rahmen des Prix de Rome 1817 der Concours für paysage historique in Form der Landschaftsölskizze eingeführt und diese damit institutionalisiert. Generell wurde jedoch in der französischen Malerei der Ölskizze im akademischen Lehrplan und in den großen Ateliers schon vor der Einführung des Concours eine wichtige Rolle zugestanden. Allein an der differenzierten Terminologie lässt sich ihr hoher Stellenwert erkennen. Man unterschied die croquis, die in grob umreißenden Linien gezeichnete Kompositionsentwurfsstudie, die in der esquisse in Ölfarben weitergeführt wurde. In der esquisse definierte der Maler die Verteilung der Massen. Es folgte die vor der Natur oder einem Modell entstandene étude. Sie ist eine detailliertere und ausgeführtere Naturstudie, oft auch Detailstudie und muss nicht zwingend ein bestimmtes Werk vorbereiten. Die pochade ist eine Abwandlung der étude, in ihr wird ein flüchtiger Natureindruck festgehalten. Die ébauche ist eigentlich die Untermalung des späteren Gemäldes. In der Landschaftsmalerei aber konnte sie durch die Pinselfraktur als Medium der Stimmungsvermittlung dienen, denn Farbe und gestalterische Mittel wurden bestimmend. Die stehengebliebene Pinselfraktur kann einen der Natur näheren Eindruck erschaffen, als es die einebnende Malerei vermag.


Landschaftliche Ölskizzen entstehen meist ohne direkt in einen Werkprozess eingebunden zu sein, sondern stehen selbständig für sich. Der Künstler schafft sie 'amoris causa', rein um ihrer selbst willen, zur Klärung gewisser Wahrnehmungsprobleme, die der Künstler aus eigener Anschauung erfährt. Ferner geht die Entwicklung der landschaftlichen Ölskizze zu Beginn des 19. Jahrhunderts einher mit einer Abwendung vom klassischen Ideal, dem Wandel des Bildes der Natur von einer „Landschaftsvorstellung zur Landschaftsdarstellung“ in der Landschaftsmalerei. Auch akademisch festgelegte Schemata, wie etwa die Einteilung der Komposition in Gründe, verlieren an Relevanz, denn es ist nunmehr die Wahrnehmung, die die Darstellung, den Gegenstand bestimmt. Wie stark die Wahrnehmung dabei die vermeintlich fest gefügte Landschaft transformiert, zerlegt, zersetzt und neu zusammenordnet, das hat Baudelaire in einem kurzen Text über die Farbe festgehalten:
„Denken wir uns eine schöne Stelle in der Natur, wo alles in voller Freiheit grünt, sich rötete, stäubt und schillert, wo alle Dinge in ihrer unterschiedlichen Färbung, je nach der Zusammensetzung der Moleküle, von Sekunde zu Sekunde, wie Licht und Schatten wandern, sich verändern und durch das Arbeiten der inneren Wärme sich in fortwährender Vibration befinden, die die Linien zittern macht und das Gesetz der ewigen, allgemeinen Bewegung vervollständigt.“
Nach der Natur
Die Landschaft wird zum wogenden Kosmos einer ständigen Veränderung. Dem kann der Künstler nicht mehr mit seinen Naturidealen nachspüren. Das Atelier wird da fast zu einem Gefängnis der Zeit, das einen konserviert, von der Natur abschneidet und einem das ewige Werden vorenthält. Daher die Flucht in die Natur. Man wollte direkt am Ort des Geschehens sein, dort, wo sich die Kräfte der Natur übertragen lassen in die eigene Kunst. Dass der Drang nach Naturnähe, für den der so oft verwendete Zusatz „nach der Natur“ auf den Zeichnungen und Ölskizzen bürgte, auch bizzare Blüten trieb, sei hier nicht verschwiegen: Von dem Maler und Politiker Massimo d’Azeglio (1798-1866) wird berichtet, dass er eines Tages, zur großen Erheiterung seiner Kollegen, einen riesigen Baum in sein Atelier bringen ließ, um „nach der Natur“ malen zu können.Ob er damit der Natur so nahe war wie Baudelaire in seiner Schilderung, das sei hier dahingestellt.

Ein eindrückliches Beispiel für die neue Auffassung von Natur ist die Wolkenstudie, deren Beliebtheit im ersten Drittel des Jahrhunderts deutlich zunimmt. Das gesteigerte Interesse an der Beschäftigung mit Wetterphänomenen ist, neben kunsttheoretischen Überlegungen wie denen Valenciennes', eng mit der Verbreitung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse verbunden, wie Luke Howards Untersuchungen zu den Wolkenformationen. Die Abhandlung erfreute sich besonders bei den deutschen Künstlern jener Zeit, nicht zuletzt durch die Ehrung Goethes, großer Beliebtheit. Als Reaktion auf Howard schufen etwa Johan Christian Clausen Dahl, Johann Georg von Dillis und Carl Blechen malerisch höchst abstrakte Wolkenstudien. John Constable begann intensive Himmelsstudien wohl im eigenen Garten in Hampstead, die Wolkenlandschaften versah er auf der Rückseite mit Angaben zu Ort, Datum, Himmelsrichtung und Uhrzeit. Neben dem gesteigerten wissenschaftlichen Interesse förderte auch die künstlerische Herausforderung der Flüchtigkeit, der Wandelbarkeit und Unbestimmtheit ihrer äußeren Form die Faszination an der Darstellung von Wolken. In der Wolkenstudie verbindet sich der wissenschaftlich geschulte Blick des Künstlers mit dem Wissen um die Wirkung des Himmels auf den Ausdruck, die Stimmung des Werkes.
Bildwürdig ist das, was der Maler ins Bild setzt

Doch nicht nur die Wiedergabe von Wolkengebilden erleichterte die Ölskizze durch ihre Möglichkeit, unmittelbare Ausführung zu bieten, ohne den Anspruch einer 'vollendeten' Komposition erfüllen zu müssen. Die Konzentration auf den Augenblick der Aufnahme und damit sowohl die subjektive und emotionale als auch die objektive, beobachtende Teilnahme daran wurden zu einem Motor für Bildfindungen, die vormals undenkbar gewesen wären. So ist es auch ein grundlegender Aspekt besonders der landschaftlichen Ölskizze, dass sie erkundet, erforscht und damit immer auch Grenzen überschreitet. Es gibt keine definierten Bildobjekte mehr. Bildwürdig ist das, was der Maler ins Bild setzt.
Diese Egalität, die so entscheidend für die Moderne werden sollte, ist ein Prozess, der in der Skizze, im Bereich des Privaten beginnt und seinen Weg von hier aus auf die großen Leinwände findet. Karl Friedrich Schinkel beschreibt von Rom aus in einem Brief an seine Frau Susanne vom 28. Oktober 1824, in dem er vom Kauf einiger Skizzen Heinrich Reinholds berichtet, diese besondere Eigenschaft der Ölskizze. Die Arbeiten rühmt er darin als „im eigentlichen Sinne etwas Wirkliches von Kunst“ und „an sich selten, ja einzig […] und dazu die Erinnerungen der Reise auf immer zu halten im Stande“. In Schinkels Äußerung über die Skizzen wird deutlich, dass es hierbei nicht um Dichtung oder Inszenierung, sondern um das künstlerische Gespür, um die der Natur innewohnende sinnliche Komponente geht, die sich im Medium der Ölskizze artikuliert. Der Anspruch an eine erschöpfende Darstellung oder 'Ganzheit' der Komposition ist nicht gegeben. Die Bedeutung des Mediums der Ölskizze als Experimentierfeld in der Landschaftsmalerei liegt in den zuvor beschriebenen Entwicklungen.

Sie dient zur Ergründung kompositorischer, motivischer, wetter-, stimmungs- und lichtbezogener, perspektivischer oder farblicher Phänomene und den sich daraus ergebenden künstlerisch-ästhetischen Problemen. Das unmittelbare Nachspüren der künstlerischen Empfindung in der Ölskizze, die es dem Betrachter scheinbar ermöglicht, dem Künstler über die Schulter zu schauen und etwas von dem kreativen Geist zu verspüren, der das Bild hervorbringt: das scheint einer der maßgeblichen Gründe dafür zu sein, dass die Ölskizze, besonders die unmittelbar vor der Natur aufgenommene, auf uns eine solche Faszination ausübt. Das Feuer der „glühenden Hingabe des Künstlers“, das bereits Denis Diderot in den Skizzen der Maler als Beleg für unmittelbare Partizipation am schaffenden Ingenium erkannte, wird in der zum Selbstzweck erhobenen Landschaftsölskizze zum eigentlichen Ausdruck.
„Da schwebt die Seele des Malers frei über der Leinwand.“

Wenn es in der Arbeit nicht mehr um das Ideal geht, nach dem sich der Künstler zu richten hat, sondern die subjektive Künstlerempfindung und individuelle Sinnstiftung Oberhand gewinnen, dann gelangt die Malerei zu sich selbst, dann ist es, „als ob diese Farbe – man vergebe mir derartige Gewagtheiten des Ausdrucks für etwas, das so leicht nicht in Worte zu fassen ist – von sich selber her denke, gleichviel, welche Dinge sie umkleide.“ Hat Delacroix diese Befreiung im Historienbild als Speerspitze einer Avantgarde schon in den 1820er Jahren vorgenommen, so wird sie zur Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Landschaft nahezu alle Künstler ergreifen. Die Empfindung steigt über die Imitation und die Natur bietet in ihrer mannigfachen Farb- und Formerscheinung ein ideales Terrain für diesen Transformationsprozess.
Die Landschaft wird dabei zur Projektionsfläche eines Projekts der Moderne, das, losgelöst von Normen, Schranken und Zwängen, danach strebt, die Selbstbestimmung des Künstlers in seiner Malerei zu verankern. Ein Großteil der Ölskizzen darf daher nicht als bloßes Abbild einer gefundenen Natur gesehen werden. Es äußert sich in ihnen immer der Künstler auf seine ganz eigene Art. Die Ölskizze ist nicht etwa eine gemalte Photographie, die den Naturausschnitt so wiedergibt, wie er vom Künstler vorgefunden wurde. Wahrheit äußert sich in der Skizze nur als subjektive Wahrheit und diese ist eine, die nur in der Privatsprache des Künstlers Gültigkeit hat. Gerade dies gibt dem Künstler aber die Möglichkeiten an die Hand, frei von Konventionen oder Traditionen im Malerischen zu experimentieren, Fragen zu stellen und Lösungen zu suchen. So individuell wie die private Anschauung ist, so individuell ist auch ihre Bild gewordene Äußerung. In ihr artikuliert sich eine Privatheit, die uns in ihren Bann schlägt, die aber gleichzeitig eine Intensivierung unserer eigenen Einstellung gegenüber dem Kunstwerk verlangt, um dem Künstler in seine private Sphäre zu folgen. Wenn einem Kunstwerk dies gelingt, dann vermag es kaum höher zu steigen.
Aurelio Fichter & Silke Friedrich-Sander
Literaturempfehlungen
- Ausstellungskatalog Washington 1996: In the Light of Italy. Corot and early open-air painting, hrsg. von Philip Consibee, Sarah Faunce, Jeremy Strick, National Gallery of Art Washington, New Haven u.a. 1996.
- Ausstellungskatalog Cambridge 1980: Painting from nature. The tradition of open-air oil sketching from the 17th to 19th centuries, hrsg. v. Fitzwilliam Museum, Cambridge, London 1980.
- Ausstellungskatalog Frankfurt 2009: Magie des Augenblicks. Skizzen und Studien in Öl, Museum Giersch Frankfurt, Petersberg 2009.
- Ausstellungskatalog New York 2009: Studying nature. Oil sketches from the Thaw collection, Morgan Library & Museum, New York 2009.